In dieser Interviewserie stelle ich 7 Fragen an Freelancer:innen aus dem Bereich SEO und Digitales Marketing. Im Fokus stehen dabei Fragen aus den Bereichen Selbstführung, Selbstständigkeit und Unternehmertum. Hierdurch lernst du die freischaffenden Unternehmer:innen näher kennen und erhälst durch ihre Antworten einen Eindruck, worauf es beim Freelancing ankommt. Es lohnt sich also definitiv! Darf ich also vorstellen? Stephan Czysch. – Er wird mir im Folgenden Rede und Antwort stehen…

 

Stephan Czysch

Stephan Czysch

Stephan Czysch hilft Unternehmen und Teams als strategischer Online-Marketingberater und Interim-Manager dabei, bessere Ergebnisse zu erzielen. Vor seiner Selbstständigkeit gründete Stephan die Agentur Trust Agents (heute Teil von DEPT), die innerhalb von fünf Jahren auf 65 Teammitglieder wuchs und mehrfach für das Unternehmenswachstum ausgezeichnet wurde. Der fachliche Schwerpunkt im Online-Marketing des mehrfachen Autors liegt auf der Suchmaschinenoptimierung. Zu diversen SEO-Themen ist er regelmäßig als Referent und Seminarleiter aktiv.

 

1. Welches Buch, Blog oder Podcast hat dich für die Themen Selbstführung und Unternehmertum positiv geprägt und würdest du weiterempfehlen?

Puh, das ist gar nicht so einfach zu beantworten, da ich viele Bücher als Kurzzusammenfassung (via Blinkist), Hörbuch (via Audible) oder klassisch als Buch konsumiert habe. Da sind im Laufe der Jahre mehrere hundert Bücher zusammengekommen, wenngleich ich sie unterschiedlich intensiv aufgesaugt habe.

Wenn ich einen Titel herausgreifen soll: Der Weg zum erfolgreichen Unternehmer von Stefan Merath. Das Buch hatte ich damals physisch gelesen und immer wieder herausgeholt. Dazu kamen mehrere Coachings und offener Austausch mit Branchenkollegen.

 

2. Selbstständig zu sein bedeutet nicht nur sein eigener Chef zu sein, sondern letztlich auch sein:e erste:r und einzige:r Angestellte:r zu sein. Damit einher geht, dass man sich selber Strukturen, Routinen und Prozesse schaffen muss. Das ist Selbstdisziplin. Welche Mittel und Wege helfen dir dabei, um dich selbst zu organisieren und weise mit deinen Freiheiten umzugehen?

Vorneweg: Mein Anspruch ist es, mit meinen Geschäftspartner:innen auf Augenhöhe zu arbeiten und klar zu kommunizieren, was (bis wann) möglich ist und was nicht. Das nimmt schon mal viel Druck aus dem Kessel, da ich nicht in Situationen komme wie „wenn X nicht bis Y geliefert wird, dann …“. In der Regel schlage ich den Fahrplan vor und kann deshalb sehr gut um alles herumplanen, was so ansteht.

Dazu kommt, dass mich aufgrund meines beruflichen Werdegangs viele Herausforderungen einer Selbstständigkeit nur bedingt betreffen. Das fängt bei der Diskussion rund um Stundensätze (und damit dem Einkommen) an und endet bei der Selbstvermarktung. Deshalb bin ich insgesamt in meiner Zeiteinteilung sehr frei und kann auch ohne anstehende Projekte in die nächsten Monate gehen, ohne mit Sorgen einzuschlafen. In der Summe gibt mir das sehr viel Freiraum, um an Themen zu arbeiten, die nicht direkt zu Einnahmen führen – oder Freizeit im klassischen Sinne zu verbringen.

Dennoch: Die kommunizierten Fahrpläne sind meine Leitplanken, um fokussiert zu bleiben. Denn ansonsten stürze ich mich gerne auf irgendein gerade opportunes Projekt und schiebe (unterminierte) Aufgaben auf.

Was mir zudem hilft ist, dass ich vom Naturell verbindlich und strukturiert bin. Was ich verspreche, das halte ich. Und wenn ich dafür kurz vor knapp richtig Vollgas geben muss. 😉

 

3. Im Volksmund sagt man „Selbstständig zu sein bedeutet: Selbst und ständig.“ Ob das immer so stimmt, hängt sicher von einem selbst ab. Aber eins ist klar: Selbstständigkeit verlangt Selbstachtung. Wie gelingt es dir, dass du verantwortungsvoll mit deiner Zeit und deinem Körper umgehst?

Während meiner Agenturzeit und speziell im Jahr 2016 war das ein großes Thema. Kurz und knapp: Da habe ich mich übernommen und Warnsignale von meinem Körper erhalten. In der Folge habe ich mich intensiv mit mir und meiner Arbeitseinstellung auseinandergesetzt, vor allem über Bücher und Coachings.
Es war insgesamt ein Lernprozess, dass ich nicht in Alles in der Agentur involviert sein muss, damit der Laden läuft. Oder präziser: ich das Gefühl habe, dass der Laden läuft. Das hat den Teammitgliedern mehr Freiraum (und Verantwortung) ermöglicht, und mir mehr Entspannung.

Zwischenzeitlich sehe ich viele Themen deutlich entspannter. Ich kann zwingend empfehlen, sich darüber klar zu werden, was man erreichen möchte, besonders mit Blick auf die eigene finanzielle Situation. Konkret: Was bringt es mir, etwas (nicht) zu tun?

Zu häufig sehe ich, dass Lebenszeit gegen Geld getauscht wird, ohne dass dieses Geld einen grundlegenden Unterschied macht, da alle (Grund-)Bedürfnisse bereits erfüllt sind. Wenn man seine eigenen Ziele erfüllen kann und dabei noch viel freie Zeit hat, dann ist man aus meiner Sicht wirklich reich. Aber lass uns jetzt nicht zu philosophisch werden. 😊

Als Ausgleich hilft mir Sport und ich bin zuletzt regelmäßig mit dem Rad unterwegs und komme pro Woche auf einige Kilometer.

 

4. Freelancer:innen sind per se selbst ihre wichtigste Schlüsselressource und gleichzeitig auch ihr wichtigster Vertriebskanal. Damit einher geht ein nicht skalierbares Geschäftsmodell, insbesondere wenn Zeit gegen Geld verkauft wird. In der Literatur spricht man hierbei vom Owner’s Business Dilemma. Inwiefern siehst du dies für dich persönlich als ein Problem? Und welche Lösungsideen hast du, um diesem zu entkommen?

Ich bin in der bereits angesprochenen Luxussituation, dass ich unter finanziellen Gesichtspunkten wenig Muss und entsprechend auf vielen Ebenen sehr viel Freiheit besitze. Aber ja: Grundsätzlich betrifft mich das Thema ebenfalls, sowohl heute als auch zu Agenturzeiten.

Wichtig ist, dass man sich darüber klar wird, was man gerne macht und was nicht. Bei Themen der zweiten Kategorie, bei mir persönlich ist es z.B. Buchhaltung, investiere ich in externe Lösungen. Es gibt für viele Themen jemanden, der/die es mit Leidenschaft macht (zumindest wäre das super). Anstatt sich also selbst Themen auf den Schreibtisch zu legen, die einem keinen Spaß machen oder für die man selbst viel mehr Zeit benötigt als jemand anderes, einfach schauen, wer dieselbe Aufgabe gerne übernimmt. Das spart Nerven sowie Geld und schenkt viel Zeit!

Denkt stets an Opportunitätskosten: Wenn ihr eure Buchhaltung für 50€ machen lassen könnt, dann lohnt es sich nicht, diese Summe zu sparen und selbst zwei oder mehr Stunden zu investieren. Das ist ein Stundensatz von 25€! Über eure Kernexpertise erhaltet ihr bestimmt mehr als diese Summe.

 

5. Man sagt, dass eine Unternehmensvision die Voraussetzung für die Strategie und damit den langfristigen Erfolg ist. Es dreht sich dabei alles um die Frage, was man ernsthaft mit seinem Business erreichen will. Gilt dies auch für Freelancer:innen? Was ist dein langfristiges Ziel mit deiner Selbstständigkeit?

Dass ich das eigene „Why“ für wichtig erachte, habe ich schon anklingen lassen, Irgendwie muss man seinen eigenen Kompass justieren, damit sich das Gefühl „ich bin [Perspektive einsetzen] angekommen“ einstellen kann.

Wohin soll es für mich selbst gehen? Eine sehr gute Frage! Für mich war der Wechsel vom Unternehmensgründer in die Selbstständigkeit der Schritt zurück zu (wieder) mehr Selbstbestimmtheit. Im Laufe der Zeit habe ich mich davon entfernt, das zu tun, was ich gerne gemacht habe: Wissen zu teilen und (fachliche) Herausforderungen zu lösen. Dazu war es nicht mehr mein Unternehmen. Durch den Verkauf hat sich die grundsätzliche Motivation verändert.

Das bitte nicht lesen als „es war alles schlimm“, ganz im Gegenteil! Ich habe meine veränderte Rolle geliebt und die neuen Erfahrungen und Impulse sehr genossen. Doch tief in mir drin wollte ich (noch) nicht der reine Unternehmenslenker in einem Angestelltenverhältnis sein, sondern selbst im Maschinenraum stehen oder eben sehr frei die Richtung in einer neuen Unternehmung vorgeben.

 

6. Viele sehen in der freischaffenden Beschäftigung die Chance, um wesentlich mehr Geld zu verdienen als in einer Anstellung. Doch immer wieder gibt es auch Beispiele, wo dies eben nicht gelingt. Was sind deines Erachtens die Faktoren, um als Freelancer:in erfolgreich zu sein? Wo siehst du Gefahren und Herausforderungen in der Selbstständigkeit? Und wie ist dein Weg hier gewesen?

Ich glaube, dass „mehr Geld“ nie die wirkliche Motivation ist oder sein sollte. Aus meiner Sicht sind die meisten, die über den Schritt in die Selbstständigkeit nachdenken, sehr gut in der Lage sind, mit dem aktuellen Einkommen die (wichtigen) Bedürfnisse und Wünsche zu stillen. Andernfalls ist man wohl nicht am passenden Ort.

Die grundlegende Hoffnung ist meistens, in weniger Zeit dasselbe (oder mehr) zu verdienen. Doch viele scheitern daran, die mögliche Freiheit anzunehmen, wenn es gut läuft und man es „geschafft hat“. Oder landen nie an diesem Punkt. Wenn man es geschafft hat, dann treten die von dir angesprochenen Themen auf. Und statt dem „es ist genug, jetzt gönne ich mir die Freizeit“ stellt sich ein „oh, wenn ich das noch mache, dann habe ich noch mehr Geld“ ein.

Am Ende landet mehr Geld auf dem Konto, die gearbeiteten Stunden sind aber häufiger mehr als vorher. Oder genauso hoch wie vorher, aber das zusätzliche Geld löst kein Problem – es gibt einfach keine (wirkliche) Notwendigkeit (oder Einsatzzweck) für diese zusätzlichen Summen. Es ist einfach nur da und es wird gearbeitet um des Geldes Willen. Echte Zufriedenheit stellt sich dadurch nicht ein. Diesen Kreislauf zu durchbrechen ist als Einzelkämpfer:in sehr schwer – deshalb in den Austausch mit Personen in derselben Situation oder einem neutralen Dritten gehen! Ansonsten führt der Weg schnell in die körperliche und geistige Erschöpfung.

Bevor der Schritt zur Selbstständigkeit gegangen wird, sollte sich jeder über das (wirkliche!) persönliche Warum im Klaren sein und die Alternativen abwägen. Denn es sind eben nicht nur die x Stunden zu Betrag y, um die es geht: Es kommen viele weitere Themen von Buchhaltung, Steuern, Recht, Selbstvermarktung, Vertrieb, … auf einen zu. Sind diese Themen erfüllend? Wie viel muss verdient werden, um sich Experten auf diesen Gebieten zu leisten? Oder macht man alles selbst und sitzt x Stunden jeden Monat an Themen, für die man nicht brennt und die auch kein Einkommen liefern?
Dazu stehen viele Selbstständige auf wirtschaftlich wackeligen Beinen. Wie abhängig ist man von einzelnen Aufträgen? Was ist, wenn diese(r) Kunde das Budget reduziert oder gar kündigt? Das kann für schlaflose Nächte sorgen.

Aber um nicht nur auf die Risiken zu schauen: Was nicht aus den Augen gelassen werden darf, ist die Fallhöhe. Die meisten werden schnell wieder eine Festanstellung finden können, wenn es mit der Selbstständigkeit nicht hinhaut. Deshalb ist das Risiko überschaubar – warum nicht einfach mal das Risiko in Kauf nehmen?

Wer Rücklagen gebildet hat, für den ist ein Start in die Selbstständigkeit auf jeden Fall (mental) deutlich einfacher, da weich gefallen wird und auch ein temporär geringeres Gehalt durch angesparte Beträge subventioniert werden kann, ohne dass es nur noch Brot und Butter gibt.

 

7. Würdest du jemals wieder in ein Angestelltenverhältnis zurückgehen (wollen)? Warum bzw. warum nicht?

Ich bin mir sicher, dass für mich das Einzelkämpferdasein seine Halbwertszeit hat. Als Fachexperte für Online-Marketing / SEO werde ich allerdings eher nicht in einem Unternehmen aktiv sein, sondern eher eigene Ideen unternehmerisch auf den Weg bringen oder als „Intrapreneur“ an „fremden“ Ideen mitarbeiten. Irgendwann wird sich die Gesamtkonstellation für mich richtig anfühlen, um den Maschinenraum zu verlassen und auf der Brücke zu stehen. Noch ist es nicht so weit.

 

One Reply to “7 Fragen über Self-Leadership an Stephan Czysch”

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