In dieser Interviewserie stelle ich 7 Fragen an Freelancer:innen aus dem Bereich SEO und Digitales Marketing. Im Fokus stehen dabei Fragen aus den Bereichen Selbstführung, Selbstständigkeit und Unternehmertum. Hierdurch lernst du die freischaffenden Unternehmer:innen näher kennen und erhälst durch ihre Antworten einen Eindruck, worauf es beim Freelancing ankommt. Es lohnt sich also definitiv! Darf ich also vorstellen? Udo Raaf. – Er wird mir im Folgenden Rede und Antwort stehen…

 

Udo Raaf

Udo Raaf

Udo Raaf startete im Jahr 1999 den ersten Musikblog Tonspion.de, der bis heute über 200.000 Leser jeden Monat erreicht. Seit einigen Jahren ist er als SEO-Berater selbstständig und berät Verlage, Gewerkschaften, Behörden und KMU zum Thema organisches Wachstum mit Content. Er studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der UdK Berlin mit Schwerpunkt Online-Kommunikation und veröffentlichte 2021 das Buch Der SEO Planer: Suchmaschinenoptimierung in Unternehmen richtig organisieren und umsetzen, erschienen im Gabler Verlag.

 

1. Welches Buch, Blog oder Podcast hat dich für die Themen Selbstführung und Unternehmertum positiv geprägt und würdest du weiterempfehlen?

Ganz besonders lesenswert zum Thema Selbstführung finde ich Die Kunst des klaren Denkens von Rolf Dobelli, der 52 klassische Denkfehler wie „Social Proof“ oder „Outcome Bias“ erläutert: Fallen, in die man immer wieder stolpert, obwohl man es eigentlich besser wissen sollte. Dieses Buch sollte man sich mindestens einmal pro Jahr durchlesen und die eigenen Denkmuster selbstkritisch überprüfen.
Als Podcast empfehle ich Alles gesagt von der Zeit. Die beiden Gastgeber interviewen Experten aus allen möglichen Fachgebieten so lange, bis diese finden, dass „alles gesagt“ sei und das Interview beenden. Im Schnitt dauern die Gespräche zwischen 5 und 8 Stunden. So bekommt man tiefe Einblicke, die einem kein noch so dickes Buch vermitteln kann, zum Beispiel, was einen Wissenschaftsdirektor der NASA so umtreibt. Das würde man ohne diesen Podcast nie erfahren.

 

2. Selbstständig zu sein bedeutet nicht nur sein eigener Chef zu sein, sondern letztlich auch sein:e erste:r und einzige:r Angestellte:r zu sein. Damit einher geht, dass man sich selber Strukturen, Routinen und Prozesse schaffen muss. Das ist Selbstdisziplin. Welche Mittel und Wege helfen dir dabei, um dich selbst zu organisieren und weise mit deinen Freiheiten umzugehen?

Ganz einfach: die Zeit! Ich bin seit über 20 Jahren selbstständig, musste mir zu Beginn strikte Routinen aneignen, zum Beispiel feste Arbeitszeiten, mir selbst Ziele zu setzen und auf potenzielle Kunden zuzugehen. Während ich am Anfang jeden Tag teils bis in die Nacht gearbeitet habe, um mein Business aufzubauen, sind heute meine Abende und Wochenenden absolut tabu. Diese Routinen sind über die Jahre so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich mir heute darüber keine großen Gedanken mehr machen muss. Außerdem habe ich Kunden, die von mir Ergebnisse erwarten und meinen Support brauchen, man ist also letztlich nie zu 100% nur sein eigener Chef, ein Selbstständiger hat sogar viele Chefs mit denen er sich arrangieren muss.

 

3. Im Volksmund sagt man „Selbstständig zu sein bedeutet: Selbst und ständig.“ Ob das immer so stimmt, hängt sicher von einem selbst ab. Aber eins ist klar: Selbstständigkeit verlangt Selbstachtung. Wie gelingt es dir, dass du verantwortungsvoll mit deiner Zeit und deinem Körper umgehst?

Meine Work-Life-Balance muss stimmen, sonst kann ich nicht gut arbeiten. Dazu gehört auch, dass man den Luxus hat, nach dem Lustprinzip zu arbeiten und sich eine Arbeitssituation schafft, die einem Freude macht und nicht nur Stress. Nach vielen Aufs und Abs im Laufe meiner Selbstständigkeit habe ich folgende Punkte verinnerlicht:

  1. Arbeite nie mit toxischen Persönlichkeiten.
  2. Mache nur, was dir wirklich Spaß macht.
  3. Lasse dir von niemandem vorschreiben, wie du zu arbeiten hast.

Wenn diese Punkte erfüllt sind, sind auch anstrengende, komplexe Phasen gut machbar, ohne ein Burnout zu riskieren.

 

4. Freelancer:innen sind per se selbst ihre wichtigste Schlüsselressource und gleichzeitig auch ihr wichtigster Vertriebskanal. Damit einher geht ein nicht skalierbares Geschäftsmodell, insbesondere wenn Zeit gegen Geld verkauft wird. In der Literatur spricht man hierbei vom Owner’s Business Dilemma. Inwiefern siehst du dies für dich persönlich als ein Problem? Und welche Lösungsideen hast du, um diesem zu entkommen?

Ich empfinde es als großen Luxus ohne großen Ballast arbeiten zu können, keine Mieten, Angestellten oder sonstige Overheadkosten bezahlen zu müssen. Ich bewundere Leute, die diese Verantwortung tragen können und große Unternehmen oder Agenturen aufbauen. Persönlich reise ich lieber mit leichtem Gepäck und ich sorge immer dafür, dass ich ein paar Eisen mehr im Feuer habe, als unbedingt notwendig, um mein Business stabil zu halten und nicht unter zeitlichen oder finanziellen Druck zu geraten. Deshalb arbeite ich auch nur auf langfristiger Basis mit meinen Kunden zusammen. Außerdem betreibe ich nebenher mehrere Websites, die auch unabhängig von meiner Zeit ein bisschen was abwerfen. Dieser spezielle Mix macht meine Arbeit letztlich auch erst richtig interessant. Das größte Risiko der Selbstständigkeit ist, alles auf ein Pferd zu setzen und sich von einzelnen Personen oder Unternehmen abhängig zu machen. Das musste ich auf schmerzhafte Weise selbst erfahren und konnte mich zum Glück wieder daraus befreien.

 

5. Man sagt, dass eine Unternehmensvision die Voraussetzung für die Strategie und damit den langfristigen Erfolg ist. Es dreht sich dabei alles um die Frage, was man ernsthaft mit seinem Business erreichen will. Gilt dies auch für Freelancer:innen? Was ist dein langfristiges Ziel mit deiner Selbstständigkeit?

Für einen Gründer habe ich wohl leider zu wenig Ehrgeiz. Ich möchte mich mit Inhalten und Websites beschäftigen und nicht mit Buchhaltung und Businessplänen. Meine Ziele sind ganz einfach: ich möchte ein gutes Leben führen können, ohne mir Sorgen über Geld machen zu müssen. Das ist auch langfristig mein Ziel. Viel wichtiger als Geld ist mir, meine Zeit sinnvoll zu investieren und spannende Projekte zu begleiten und langfristig zum Erfolg zu verhelfen mit meinem über die Jahre erworbenen Knowhow. Qualität vor Quantität.

 

6. Viele sehen in der freischaffenden Beschäftigung die Chance, um wesentlich mehr Geld zu verdienen als in einer Anstellung. Doch immer wieder gibt es auch Beispiele, wo dies eben nicht gelingt. Was sind deines Erachtens die Faktoren, um als Freelancer:in erfolgreich zu sein? Wo siehst du Gefahren und Herausforderungen in der Selbstständigkeit? Und wie ist dein Weg hier gewesen?

Ich habe mich viel zu lange an anderen orientiert und fand die – aufgrund ihrer selbstbewussten, extrovertierten Außendarstellung – immer wahnsinnig erfolgreich. Bis ich erkannt habe, dass Erfolg für mich persönlich gar nicht von Geld oder Ruhm abhängt oder mich selbst in Medien oder auf allen Panels zu sehen. Das hat meine Perspektive komplett verändert. Wäre mir Geld oder der Name des Unternehmens, für das ich arbeite, wichtiger, wäre mein Weg vermutlich ganz anders verlaufen und ich hätte viele Umwege nicht gemacht, die ich heute als bereichernd und wichtig empfinde und durch die ich vieles gelernt habe. Ich versuche immer zu schauen, ob ich mit meiner beruflichen Situation zufrieden bin oder was ich ändern kann. Und dann ändere ich das. Dinge zu optimieren, scheint bei mir schon in der DNA zu liegen. Wer nicht bereit ist, sich immer wieder an die äußeren Bedingungen anzupassen, wird es in der Selbstständigkeit (und in der SEO) schwer haben.

 

7. Würdest du jemals wieder in ein Angestelltenverhältnis zurückgehen (wollen)? Warum bzw. warum nicht?

Ich habe als Experiment versucht, in Teilzeit für einen Publisher zu arbeiten, um zu schauen, ob das für mich funktioniert. Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich dann am besten bin, wenn ich ohne „Druck von oben“ und selbstbestimmt arbeiten und selbst etwas aufbauen kann. Davon profitieren letztlich auch meine Kunden. Wenn Unternehmen lernen würden, ihre Mitarbeiter vertrauensvoll, ohne Druck und ohne Vorschriften ihren Job machen zu lassen, genauso als wären sie selbstständig, würde ich auch eine Anstellung in Erwägung ziehen. Wenn es ein spannender Arbeitgeber ist, warum nicht?

 

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