In dieser Interviewserie stelle ich 7 Fragen an Freelancer:innen aus dem Bereich SEO und Digitales Marketing. Im Fokus stehen dabei Fragen aus den Bereichen Selbstführung, Selbstständigkeit und Unternehmertum. Hierdurch lernst du die freischaffenden Unternehmer:innen näher kennen und erhälst durch ihre Antworten einen Eindruck, worauf es beim Freelancing ankommt. Es lohnt sich also definitiv! Darf ich also vorstellen? Astrid Kramer. – Sie wird mir im Folgenden Rede und Antwort stehen…
Astrid Kramer
Astrid Kramer ist seit 13 Jahren im Bereich SEO und UX tätig, seit 11 Jahren selbstständig. Ihr Fokus liegt auf Corporate SEO, also in der Beratung großer und reichweitenstarker Unternehmen. Vor der Selbstständigkeit war sie bei einer Agentur in Hamburg in der Online Marketing Beratung tätig und bei GelbeSeiten im Saarland als Head of Performance Marketing. Ihr akademischer Grundstein ist ein Master in Informationswissenschaft, Rechtsinformatik und Sozialpsychologie und ein Aufbaustudiengang zur Unternehmensführung.
1. Welches Buch, Blog oder Podcast hat dich für die Themen Selbstführung und Unternehmertum positiv geprägt und würdest du weiterempfehlen?
Ein Auslöser für meine Selbstständigkeit war sicherlich The 4-Hour Workweek von Tim Ferriss. Ich hatte immer das Problem, dass ich sehr schnell und effektiv arbeite. Das klingt im ersten Moment nicht nach einem Problem, führte aber z.B. im Agenturbusiness nur dazu, dass ich von meinen Vorgesetzten mehr und mehr Aufgaben und Kunden bekam und kurz vorm Burnout stand, sich diese Mehrarbeit aber finanziell nicht ausgezahlt hat. Ich dachte mir: Da muss ein Ausbrechen möglich sein. Weniger Arbeiten, mehr verdienen. Als ich das meinem Ex-Chef bei der Kündigung so gesagt habe, hat er gelacht. Es hat direkt vom ersten Monat an geklappt: weniger arbeiten, mehr verdienen.
Im Hinblick auf meine finanzielle Absicherung hat mir Rich Dad Poor Dad sehr geholfen. Sicher, das Buch ist nicht 1:1 auf die heutige Situation übertragbar. Aber es liefert extrem gute Hinweise im Hinblick auf ein Mindset, das man zum Vermögensaufbau braucht. Mein liebster Tipp aus dem Buch: bezahle Dich selbst zuerst, bevor Du Steuern, Rechnungen etc. bezahlst. Das bedeutet: lege zu Beginn des Monats einen festen Betrag für Investitionen (z.B. Aktien) zurück und gehe erst dann an Deine Verbindlichkeiten. Warum? Weil Schuldner:innen sich bemerkbar machen, wenn man sie vergisst. Aber man selbst schreit nicht laut genug, wenn es um den Aufbau einer Absicherung geht. Daher vergisst man sich selbst zu leicht, wenn es um Finanzen geht. Und das ist gefährlich auf lange Sicht.
2. Selbstständig zu sein bedeutet nicht nur sein eigener Chef zu sein, sondern letztlich auch sein:e erste:r und einzige:r Angestellte:r zu sein. Damit einher geht, dass man sich selber Strukturen, Routinen und Prozesse schaffen muss. Das ist Selbstdisziplin. Welche Mittel und Wege helfen dir dabei, um dich selbst zu organisieren und weise mit deinen Freiheiten umzugehen?
Ich hatte, ehrlich gesagt, nie Probleme mit Selbstdisziplin. Wenn ich arbeite, arbeite ich. Ich brauche niemanden, der mir sagt, wann ich was zu tun habe. Ich sehe Aufgaben, die erledigt werden müssen, also werden sie erledigt. Strukturen wie ein externes Büro oder feste Arbeitspläne sind nicht notwendig. Mein einziges Tool ist mein Google Kalender. Dort hinterlege ich mir Arbeitsblöcke für feste Kunden, also zum Beispiel einen täglichen 2 Stunden Block für Kundenprojekt XY, den ich dann grün einfärbe, wenn ich ihn abgearbeitet habe. Damit habe ich den Überblick, was ich erledigt habe und gebe mir selbst auch die Befriedigung, etwas „abzuhaken“.
Wenn ich in Gründung bin (z.B. als ich mein Online-Newsmagazin andalusien-aktuell.es gegründet habe), dann nutze ich Asana, um Task zu sammeln. Für meine neue Gründung im Oktober habe ich Listen unter Google Notizen auf meinem Smartphone angelegt, die ich ständig erweitere, wenn ich z.B. am Strand spazieren gehe oder im Urlaub am Pool liege. Was im Kopf ist, muss sofort notiert werden. 🙂
3. Im Volksmund sagt man „Selbstständig zu sein bedeutet: Selbst und ständig.“ Ob das immer so stimmt, hängt sicher von einem selbst ab. Aber eins ist klar: Selbstständigkeit verlangt Selbstachtung. Wie gelingt es dir, dass du verantwortungsvoll mit deiner Zeit und deinem Körper umgehst?
Wie bereits erwähnt: ich bin mir selbst ein guter Chef. Ich könnte ein klassisches nine to five gar nicht mehr leisten, auch rein körperlich, und das ist okay so. Ich habe Routinen etabliert, die mir selbst helfen, gesund und glücklich zu bleiben. So gehe ich jeden Morgen eine Stunde am Strand spazieren. Das freut den Hund – und mich 🙂 Wenn der Kopf dann trotzdem rattert, macht das gar nichts. Ich finde Gründen und Aufbauen und Arbeiten spannend und würde mich langweilen, wenn ich nichts zu tun hätte. Daher denke ich auch gerne über alles nach – aber eben lieber mit dem Blick auf Wellen anstatt dem Blick auf Wände.
Im Homeoffice arbeite ich stehend, das kann ich nur jedem empfehlen, der wie ich mit Nackenproblemen und Migräne zu kämpfen hat.
4. Freelancer:innen sind per se selbst ihre wichtigste Schlüsselressource und gleichzeitig auch ihr wichtigster Vertriebskanal. Damit einher geht ein nicht skalierbares Geschäftsmodell, insbesondere wenn Zeit gegen Geld verkauft wird. In der Literatur spricht man hierbei vom Owner’s Business Dilemma. Inwiefern siehst du dies für dich persönlich als ein Problem? Und welche Lösungsideen hast du, um diesem zu entkommen?
Ich verkaufe sehr gerne Pakete, also eine Analyse XY für den Preis XY. Das gibt dem Kunden Planungssicherheit und ich schieße mir selbst nicht ins Knie, weil ich zu schnell arbeite Natürlich klappt das nicht immer und auch ich stecke in der Stundenabrechnungsfalle bei einigen meiner Kunden. Daher schaue ich nach jedem Arbeitspaket, ob die abgerechneten Stunden dem Output gerecht werden oder ob ich beim Stundenpreis nachjustieren muss. Ich versuche, nicht über den Preis im Geschäft zu bleiben, sondern einen Output zu liefern, bei dem die Kunden sehen, dass er es wert ist. Damit fahre ich bisher sehr gut.
5. Man sagt, dass eine Unternehmensvision die Voraussetzung für die Strategie und damit den langfristigen Erfolg ist. Es dreht sich dabei alles um die Frage, was man ernsthaft mit seinem Business erreichen will. Gilt dies auch für Freelancer:innen? Was ist dein langfristiges Ziel mit deiner Selbstständigkeit?
Nein, für meine Beratung gilt das nicht. Ich habe einen Status Quo, den ich super finde und erhalten möchte. Ich habe einen hohen Anspruch an mich selbst, dem ich gerecht werden will. Das ist aber keine Unternehmensvision. Für meine Gründung im Oktober habe ich allerdings eine klare Vision, die auch weit über den Bootstrapping Horizont hinausgeht. 🙂 Das treibt mich an, betoniert mich aber nicht fest. Wenn sich der Weg verändert, verändert er sich. Auch das ist fine, wenn man den Spaß und den Elan dabei nicht verliert.
6. Viele sehen in der freischaffenden Beschäftigung die Chance, um wesentlich mehr Geld zu verdienen als in einer Anstellung. Doch immer wieder gibt es auch Beispiele, wo dies eben nicht gelingt. Was sind deines Erachtens die Faktoren, um als Freelancer:in erfolgreich zu sein? Wo siehst du Gefahren und Herausforderungen in der Selbstständigkeit? Und wie ist dein Weg hier gewesen?
Die größte Gefahr für Freelancer:innen sehe ich persönlich darin, dass man sich zu günstig verkauft und nicht nachhaltig wirtschaftet. Wichtig ist: Man muss zu Beginn der Selbstständigkeit einen realistischen Stundensatz festlegen, der sich am Branchen-Benchmark orientiert, aber eben auch einer harten Kalkulation standhält. Verdiene ich genug, um einen 3-monatigen Gehaltsausfall problemlos auffangen zu können? Habe ich ausreichend Rücklagen, um nicht von Steuernach- und -vorauszahlungen überrascht zu werden und bedenke ich, dass ich selbst Rücklagen für die Rente aufbauen muss?
Wenn man dies nicht hat, läuft man Gefahr, in der Selbstständigkeit dauernd getrieben zu sein und im Endeffekt mehr Stress zu haben als in einer Festanstellung. Auch ist Angst kein guter Ratgeber in der Selbstständigkeit. Wenn ich einen festen Kunden akzeptiere, der mir zusagt, ein großes Zeitkontingent pro Monat abzunehmen, aber nicht bereit ist, ausreichend für diese Zeit zu zahlen, dann ruiniere ich mich auf Dauer selbst, auch wenn diese vermeintliche Sicherheit im ersten Moment verführerisch scheint.
7. Würdest du jemals wieder in ein Angestelltenverhältnis zurückgehen (wollen)? Warum bzw. warum nicht?
Sag niemals nie. 🙂 Aber das Angebot müsste schon überwältigend sein und meine Vorgesetzten müssten verstehen, dass sie nicht meine Lebenszeit kaufen, sondern Ergebnisse. Das verlangt viel von Führungspersonen, da es leichter ist, Zeiten quantitativ zu überprüfen als Output qualitativ zu bewerten. Aber wenn ich gezwungen bin, Stunden meines Lebens in Meetings zu verbringen, die nicht effektiv sind, verliere ich ganz schnell die Lust, dieses Spiel weiter zu spielen. Ich arbeite gerne, hart und effektiv – aber Zeitverschwendung geht halt gar nicht. Dafür ist das Leben dann doch zu kurz. 🙂
Cooles Interview. Die zwei Buchtipps kann ich auch sehr empfehlen.