In dieser Interviewserie stelle ich 7 Fragen an Inhouse-Führungskräfte aus dem Bereich SEO und Digitales Marketing. Hierdurch lernst du die Leads und ihre Perspektive über Leadership kennen und erhälst durch ihre Antworten Impulse für die Leitung deines eigenen Teams. Es lohnt sich also definitiv! Darf ich also vorstellen? Gianna Brachetti-Truskawa, Senior Product Manager bei DeepL. Gianna Brachetti-Truskawa ist Senior Product Manager bei DeepL und verantwortet den Bereich SEO. DeepL SE betreibt Linguee.com sowie DeepL.com, das präziseste Online-Übersetzungstool der Welt. Gianna wird mir im Folgenden Rede und Antwort stehen…
Gianna Brachetti-Truskawa
Senior Product Manager bei DeepL
Gianna Brachetti-Truskawa ist Senior Product Manager bei DeepL SE und verantwortet den Bereich SEO. DeepL SE betreibt Linguee.com sowie DeepL.com, das präziseste Online-Übersetzungstool der Welt.
In den letzten 10 Jahren hat Gianna mehrere internationale SEO-Teams aufgebaut und geleitet, unter Anderem bei der Aufeminin Group (gofeminin.de, onmeda.de) und zuletzt als VP of SEO bei KaFe Rocks Ltd.
1. Welches Buch, Blog oder Podcast hat dich als Führungskraft positiv geprägt und würdest du weiterempfehlen?
Das Meiste habe ich über Führung nicht aus Büchern oder Kursen gelernt, sondern während meiner Arbeit in der Geronto-Psychiatrie, lange bevor ich in den SEO-Bereich gewechselt bin, sowie über meinen ersten Mentor Torsten Tromm und direkten Austausch innerhalb der Women in Tech SEO Community. In den letzen Jahren hat mich vor allem der offene Austausch mit meinem Team oder Freund*innen weiter gebracht, z. B. Myriam Jessier, Stefan Godulla, David Linden, Pascal Fantou, Dominik Schwarz, sowie ein Kurs als Ersthelfer*in für Mentale Gesundheitskrisen (MHFA).
Englisch ist seit vielen Jahren meine Arbeitssprache, daher kenne ich größtenteils englischsprachige Ressourcen. Vor 10 Jahren hat mich Brené Browns TED Talk über Verletzlichkeit sehr fasziniert, ich empfehle ihn seither immer weiter. Außerdem lese ich den Neurodiversity 101 Newsletter auf LinkedIn sehr gerne.
Als Bücher haben mich vor allem Mastering In-House SEO von Simon Schnieders, Jerks At Work von Tessa West und Unmasking Autism von Devon Price weitergebracht. Selbst (oder gerade) wenn man mit Neurodiversität und Autismus persönlich nicht viel anfangen kann, hat man im Leben sicher mit Menschen zu tun, die neurodivers sind – diese Bücher helfen Euch, sie besser zu verstehen, ggf. besser innerhalb eines Teams zu vermitteln oder ihre Bedürfnisse besser zu adressieren, also kurz: eine bessere Führungskraft zu sein.
2. Wie würdest du deinen Führungsstil beschreiben und welche Erwartungen impliziert dies auf deine Mitarbeiter*innen?
Mein Führungsstil ist vor allem kooperativ. Das erfordert von meinen Mitarbeiter*innen ein hohes Maß an Eigenständigkeit, Selbstreflektion und gegenseitigem Vertrauen.
Laut einer Freundin sei mein Führungsstil vor allem „sehr präzise und fokussiert, insbesondere mit Frameworks, um nichts dem Zufall zu überlassen“. Micromanagement liegt mir nicht und würde meiner Erfahrung nach besonders im Bereich SEO gar nicht funktionieren, aber die (Weiter-)Entwicklung von Frameworks für diverse Anwendungsfälle finde ich gerade für das Training und die Zusammenarbeit im Team sehr hilfreich.
Die höchsten Erwartungen habe ich tatsächlich an mich selbst: Meinen Mitarbeiter*innen den Rücken freihalten, einen sicheren Raum für gegenseitiges Feedback zu bieten und ihnen das zu geben, was sie brauchen, um ihren Job gut zu machen und zu wachsen.
3. Inhouse zu führen steht für mich auch stark in Verbindung mit dem Thema Stakeholder-Management. Wie gelingt es dir, andere Mitarbeiter*innen und Abteilungen für dein Thema zu begeistern und für die Umsetzung der für dich wichtigen Themen zu sorgen?
Es hilft enorm, wenn man sich auf ein gemeinsames Ziel verständigen kann. Wir möchten alle mehr organischen Traffic? Gut, dann definieren wir was jede*r von uns dafür tun kann. Daten sind hier auch extrem hilfreich – alles was untermauern kann, warum das, was wir umsetzen möchten, dazu geeignet ist, unser gemeinsames Ziel zu erreichen.
In der SEO erfordert das oft auch abteilungsübergreifende Wissensvermittlung und -management. Wenn ich etwa die Akzeptanz im Engineering-Team für SEO-Themen erhöhen möchte, kann ich einen kurzen Workshop anbieten, bei dem die wichtigsten Dinge, die bei der Arbeit an Webseiten bedacht werden sollten, aufgeführt und Fragen, die ich vorab vom Team gesammelt habe, adressiert werden. Im besten Fall führt das dazu, dass Entwickler*innen für sie relevante SEO-Grundlagen verstanden haben und von da an bei ihrer Arbeit mit bedenken. Häufig ist das zielführender, weil sie dann eigenständiger arbeiten können und das SEO-Team nicht als Blocker wichtiger Prozesse wahrgenommen wird.
Wenn man dann darüber hinaus Dinge umgesetzt bekommen möchte, kommt man nicht drum herum, Verantwortlichkeiten zu klären und festzuhalten, z.B. mit einer RACI-Matrix.
4. Du bekleidest eine Position des mittleren Managements. Wie gelingt es dir, die Spannung auszuhalten, die Interessen der Geschäftsführung zu vertreten und gleichzeitig dein Team zu schützen bzw. ihre Wünsche zu berücksichtigen?
Spannung sehe ich hauptsächlich in der Wahrnehmung oder Erwartung an Führungskräfte in der SEO. In der Suchmaschinenoptimierung wird man immer wieder auf komplett neue, teils sehr komplexe Probleme stoßen – manche erfordern sehr viel Erfahrung und/oder ein tiefes Verständnis der SEO, um Lösungsansätze gegeneinander abzuwägen. Deshalb ist es in diesem Bereich nicht ideal, nur noch Managementaufgaben zu übernehmen, aber selbst nicht mehr aktiv an SEO-Aufgaben beteiligt zu sein – aber auch das hängt von der Teamkonstellation ab.
Wieviel Spannung es zwischen der Geschäftsführung und dem Team gibt, hängt u.a. davon ab, wie wichtig SEO für das Unternehmensergebnis ist (z. B. wie stark der Umsatz vom organischen Traffic abhängt). Je wichtiger SEO für das Unternehmensergebnis ist, desto einfacher ist es, die Tools und Unterstützung durch andere Teams zu bekommen, die man braucht – und das SEO-Team kann ggf. selbst Ziele vorgeben. Dann sind die Spannungen kleiner, weil SEO mitsteuern kann.
Ist SEO nur schmückendes Beiwerk und spielt keine zentrale Rolle, wird es definitiv schwieriger. Dann muss man klären: Was sind die Unternehmensziele und welchen Beitrag kann SEO mit den derzeitigen Ressourcen überhaupt leisten? Wenn das nicht zu den Erwartungen seitens der Geschäftsführung passt, braucht es ggf. Zugeständnisse von der Geschäftsführung. Dafür muss aber oft erst einmal Verständnis geschaffen werden – was brauchen wir, um diese Erwartungen zu erfüllen, und warum? Und das ohne zu sehr ins Detail zu gehen – das ist ein Spagat, der nicht allen SEOs liegts, meine Agentur-Erfahrungen haben mich aber gut darauf vorbereitet.
5. Inhouse zu arbeiten, bedeutet in ein Unternehmen, eine Branche tiefer einzutauchen. Im Gegensatz zum Agenturleben kann dies u.U. für mehr Monotonie sorgen. Wie sorgst du daher bei deinen Mitarbeiter*innen für ausreichend Abwechslung und immer wieder neue Herausforderungen?
Ist das so, dass Inhousearbeiten monotoner wäre? Ich habe das im SEO-Bereich anders erlebt. In Agenturen empfand ich es oft so, dass ich nur an der Oberfläche kratzen konnte, je nach Art der Zusammenarbeit und Umfang des Budgets, während das Inhouse anders sein kann.
Wichtiger als sich rein auf Abwechslung zu fokussieren finde ich, gezielt Freiräume und Anreize für die persönliche und fachliche Weiterentwicklung zu schaffen. In meinem letzten Team gab es z.B. keine Meetings an Freitagen, und mindestens ein Freitag im Monat war reserviert für gemeinsame fachliche Weiterbildung. Wir haben im Vorfeld interessante Themen gesammelt, für die im Tagesgeschäft kein Raum war, und jedes Mal war jemand Anderes im Team zuständig, den Tag zu gestalten und das Thema vorzubereiten. Mal waren es gelenkte Seminare oder Workshops, mal Partnerarbeit an bestimmten Aufgaben. Es gab immer ein klares (Lern-)Ziel, das wir gemeinsam definiert haben, der Tag konnte aber auch dafür genutzt werden, dass jemand sich alleine mit etwas beschäftigen möchte, das der persönlichen Neigung entspricht, die vielleicht im Tagesgeschäft nicht voll zur Geltung kommen konnte – etwa die Entwicklung eines Tools.
6. Meetings sind ein zentrales Tool im Unternehmensalltag. Diese haben sich stark durch New Work (Home Office, Remote Work etc.) verändert. Welche regelmäßig stattfindenden Meetings haben sich für dich bewährt und wie gestaltest du diese so, dass diese effizient ablaufen und Spaß machen?
Viele Teams haben Daily Standups, um sich zu koordinieren. Wenn man aber in einem Aufgabenfeld arbeitet, das mit vielen anderen Abteilungen koordiniert werden muss, sind die Mitarbeiter*innen ohnehin schon oft in Meetings. Daher findet unser Daily Standup z.B. schriftlich statt, mit einem automatischen Workflow in Slack.
So schnöde es klingen mag – damit es effizient bleibt, braucht es im besten Fall eine Agenda oder die klare Beschränkung auf ein Thema bzw. eine Kernfrage, die man besprechen möchte. Wenn vorab jede*r Kolleg*in z.B. auf Confluence einträgt, welches Thema sie besprechen möchten, haben sich bereits alle Teilnehmer*innen vor dem Termin Gedanken gemacht, das kann auch helfen. Man kann am Anfang ein paar Minuten für einen lustigen Auftakt einplanen – z.B. Fun Facts über Oktopusse, schlechte Witze – ich finde es schwierig, da etwas Konkretes vorzugeben, oft ergibt sich das einfach von selbst aus der Teamkonstellation und -dynamik. Es gibt einfach Menschen, denen immer irgendwas Lustiges einfällt, oder die lustige Dinge erleben und das gern mitteilen.
7. Welche weiteren Herausforderungen siehst du in der Remote-Führung und wie gehst du damit persönlich um?
Ich arbeite schon sehr viel länger als diese Pandemie währt ausschließlich remote, deshalb ist das für mich kein neues Konzept. Was sich aber jetzt deutlicher zeigt, da mehr Unternehmen auf remote oder Hybridmodelle umgestellt haben: Es hält sich noch hartnäckig die Vorstellung, dass Führung vor allem bedeute, größtenteils in Form von Meetings zu arbeiten. Das funktioniert nicht für jede Person, und auch nicht für jedes Aufgabenfeld, auch nicht im Management.
Gleichzeitig ist es wichtig, eine gute Beziehung zu Mitarbeiter*innen aufzubauen und zu pflegen, sowie den Mitarbeiter*innen zu ermöglichen, gute Beziehungen zu ihren Kolleg*innen zu pflegen und das geht für viele Menschen doch einfacher über Videotelefonie. Je nachdem wie mitteilsam Mitarbeiter*innen und wie aufmerksam die Führungskräfte sind, kann es remote schneller passieren, dass sie Hilfe brauchen, sie aber nicht einfordern können und sich dann ggf. zurückziehen und in Einsamkeit abdriften. Mitarbeiter*innen, die sich noch zu unsicher fühlen, um viel Eigenverantwortung zu tragen, können hier mehr Schwierigkeiten haben und daher mehr Unterstützung durch die Führungskraft und das Team gebrauchen. Das Onboarding neuer Mitarbeiter*innen kann auch logistisch eine Herausforderung werden.
Ich versuche mir Freiräume zu verschaffen, um für meine Kolleg*innen dazusein. Dafür muss ich auch meine eigenen Grenzen und Ziele deutlich kommunizieren und Optionen finden, bei denen man Meetings durch asynchrone Kommunikationslösungen ersetzen kann. Allerdings sind meine Möglichkeiten da mitunter auch begrenzt.
Persönlich sind meine größte Herausforderung Video-/Telefonkonferenzen mit mehreren Teilnehmer*innen. Ich erfasse Informationen schriftlich viel einfacher als in einer Mischung aus Bild und Ton und bin von Meetings sehr schnell überreizt. Analytische Aufgaben oder das Konzipieren von Strategien zwischen Meetings zu quetschen ist dann anstrengender – ich muss also immer wieder versuchen, das in eine für mich angenehmere Balance zu bringen. Das ist nicht immer einfach, z.B. wenn die Bedürfnisse von Kolleg*innen eher in Richtung Videotelefonie tendieren.
Es ist auch noch nicht in jedem Unternehmen angekommen, dass Menschen, die etwa neurodivers sind, ggf. einen anderen Arbeitsmodus brauchen, dementsprechend gibt es noch nicht so viele Lösungen oder Frameworks, an die man sich anlehnen könnte.
Bonusfrage: Unternehmen arbeiten z.T. auch mit Agenturen zusammen. Die Setups sind hierbei sehr vielfältig. Daher stellt sich hierbei die Frage, wer hier eigentlich wen wie am besten führen sollte. Wie ist deine Sicht der Dinge: Wie gelingt eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Agenturen?
Je klarer wir definieren, was genau wir von den Agenturen möchten, desto erfolgreicher und effizienter läuft die Zusammenarbeit. Wir müssen also erst einmal überlegen, was genau wir von der Agentur brauchen – nur Menschen, die uns bei klar umrissenen Aufgaben zuarbeiten, oder auch erfahrene Berater*innen, die uns helfen können, Prozesse zu definieren und Mankos aufzuzeigen? Wie bereit sind wir, auf Vorschläge einzugehen? Haben wir die Ressourcen, Vorschläge auch wirklich umzusetzen? Ich habe sowohl inhouse als auch auf Agenturenseite gearbeitet – erfahrungsgemäß zeigt sich spätestens, wenn man mit Agenturen zusammen arbeitet, wo man interne Prozesse und Verantwortlichkeiten nicht klar definiert hat. Das fliegt einem dann bei Zusammenarbeit mit externen Berater*innen schneller um die Ohren.
Agenturen für die Zusammenarbeit zu finden hat ähnliche Anforderungen wie die Rekrutierung neuer Mitarbeiter*innen – es braucht eine genaue Aufgabenbeschreibung und man muss herausfinden, ob der Arbeitsmodus zueinander passt.
Wer wen führen sollte, hängt von den Prozessen, dem konkreten Bedarf, und auch den intern vorhandenen Teams ab. Agenturen können sowohl dabei helfen, wichtige Themen besser bei der Geschäftsführung zu platzieren und eine Umsetzung schneller anzukurbeln, als auch bei einzelnen Aufgaben zuarbeiten.
Wie man interne wie auch externe SEOs in die agile Entwicklung integrieren kann, habe ich z.B. 2018 mit Sistrix besprochen – das lässt sich auch auf andere Rollen adaptieren. Wichtig ist, dass man Prozesse auch visualisiert und festhält, damit sie allen Beteiligten zugänglich und verständlich sind, und dass man diese Prozesse in regelmäßigen Abständen gemeinsam prüft und ggf. erneut an die Bedürfnisse der Zusammenarbeit anpasst.
Es gibt nicht das eine Rezept für alle Fälle – allgemein würde ich aber sagen: je enger die Agenturen in die internen Prozesse eingebunden sind, desto erfolgreicher funktioniert die Zusammenarbeit.