Nicht immer läuft im Business alles rund. Manchmal geht ein Plan nicht auf und man scheitert. Ich bin der festen Überzeugung, dass diesen Geschichten viel zu wenig Bühnen gegeben wird. Und das obwohl die Learnings daraus mehr wert sind als 100 Bücher darüber, wie man erfolgreich wird. Daher will ich mit dieser Interviewserie Menschen zu Wort kommen lassen, die gescheitert und wieder aufgestanden sind. Führungskräften wie Jens Altmann, selbstständiger IT-Softwareentwickler und Consultant, der sich meinen 7 Fragen gestellt hat und seine Erfahrungen mit mir teilt..
Jens Altmann
Seit über 20 Jahren ist Jens Altmann im Bereich des Software Engineering tätig. Als Chapter Lead und Technology Engineer Evangelist berät und unterstützt er Firmen bei der Umsetzung von IT Projekten. Sowohl Planung, MVP-Erstellung oder Teamaufbau und Führung gehören zu seinen täglichen Themen. Sein besonderer Fokus liegt auf Datenverarbeitung, Software Architektur, sowie Infrastruktur und Security. Als Interim CTO und Entrepreneur hat er eine Reihe von Firmen mit aufgebaut und unterstützt diese bei ihrem Wachstum.
1. Welches Buch, Blog oder Podcast hat dich für die Themen Leadership und Unternehmertum positiv geprägt und würdest du weiterempfehlen?
Ich lese praktisch keine Bücher zu dem Thema. Es gibt eine Reihe von Podcasts, die ich höre, aber keinen davon explizit wegen bestimmten Inhalten, sondern eher wegen der Inspiration und um unterschiedliche Blickwinkel in meine Betrachtung auf Aufgaben mit einfließen zu lassen.
Aus diesem Grund würde ich auch ein Buch empfehlen, das oberflächlich so wenig mit Business zu tun hat wie Eis und Feuer. Es handelt sich um das Buch Die Kunst des guten Lebens: 52 überraschende Wege zum Glück von Rolf Dobelli. Es schafft durch seine Inhalte eine gewisse Resilienz, aber auch Demut zu schaffen. Eigenschaften, die vielen Führungspositionen auch heute noch fehlen.
2. Du bist schon mal mit einem Business gescheitert. Magst du uns beschreiben, was dir wiederfahren ist und wie es dazu kommen konnte?
Eine Reihe von Projekten und Businesses sind im Laufe der letzten 20 Jahre gescheitert. Oftmals sind es aber genau die Projekte, in denen man am meisten gelernt hat. Projekte sind erfolgreich geworden, weil man in vorherigen Projekten Erfahrung gesammelt hat.
Das wohl größte Business, das nicht so erfolgreich war wie geplant, war Patronus.io – eine Cyber Security Software as a Service Solution. Für diese hatte ich als Prototyp einen Algorithmus entwickelt, der Schwachstellen im Code von Webseiten identifizieren kann. Das Produkt funktionierte ziemlich gut und wir konnten uns über Investor:innen einen siebenstelligen Betrag an Finanzierung sichern. Leider war der Zielmarkt nicht bereit die zusätzlichen Kosten zu zahlen und wir haben zu lange an diesem Zielmarkt festgehalten. In der Theorie hat in der Firma alles gepasst. Im Gründerteam gab es Erfahrung im Sales, Marketing und in der Entwicklung. Wir hatten alle eine ähnliche Vision, aber am Ende waren es die Details, die dafür sorgten, dass wir uns am Markt nicht etablieren konnten und die Assets veräußert haben.
Wir sind entsprechend den Erwartungen der Investoren zu schnell gewachsen. Ein langsames und gesundes Wachstum hätte eine Basis für eine sehr lukrative Firma bedeutet, aber durch den Wachstumsdruck in einem sehr relevanten Bereich war die wirtschaftliche Betrachtung der Unternehmung nicht nachhaltig.
3. Welche persönlichen Konsequenzen hat(te) das Scheitern für dich und durch welche Achterbahn der Gefühle bist du gegangen? Was hat dir geholfen, wieder aufzustehen und nach vorn zu schauen?
Für mich hatte die Abwicklung der Firma keine Konsequenzen. Es war ein lehrreicher Prozess und als diesen habe ich die Firma die ganze Zeit betrachtet. Ich habe in der Zeit mit vielen sehr talentierten Menschen zusammengearbeitet, mit denen ich mich auch heute noch sehr regelmäßig austausche und deren Kontakte ich pflege. Es wäre abwegig zu denken, dass man mit jeder Idee und jedem Projekt Erfolg hat. Wenn man dies verinnerlicht, dann kann man Entscheidungen freier treffen.
4. Bereust du den Schritt, den du damals gegangen bist, oder bist du eher dankbar für die damit einhergehenden Erfahrungen? Welche Learnings nimmst du mit und hast du heute weniger Angst zu scheitern?
Den Schritt bereue ich auf gar keinen Fall. Der Einsatz hat sich gelohnt und die Erfahrung hat sich um ein Vielfaches bezahlt gemacht. Meine wichtigsten Learnings sind, dass ich für mich gelernt habe, dass es wichtig ist, die Verantwortungshoheit zu besitzen. Entscheidungen müssen getroffen werden und in einem Team sind Entscheidungsfindungsprozesse ein zäher Prozess, bei dem meistens ein Kompromiss statt eines Konsens getroffen wird. Dies führt dazu, dass niemand die Verantwortung übernimmt. Lieber treffe ich anhand der vorhandenen Parameter eine Entscheidung und korrigiere ggf. diese später, statt mich in eine Rechtfertigungsspirale zu begeben.
5. Scheitern wird in Deutschland oft stigmatisiert. Woran liegt das deiner Meinung nach? Warum tun Menschen alles dafür, nicht zu scheitern und wie kann man die Angst vorm Scheitern überwinden?
Ich glaube, es liegt einfach an dem Konkurrenzdenken. Wettkämpfe prägen unser Bild und selbst zweite Plätze werden als Niederlage gewertet. Darum gibt es viele Menschen, die lieber einen Chance vorbeiziehen lassen, statt sie zu ergreifen. Es ist wichtig, dass jede:r für sich klar macht, ob man sich mit anderen messen lassen möchte oder nicht. Es wird immer jemanden geben, der etwas besser macht, schnell war oder ähnliches. Es ist wichtig, dass man Dinge aus der richtigen Motivation heraus macht. Dann gibt es praktisch kein Scheitern.
6. Scheitern geht oft nicht ohne Fehler einher. Nicht immer klappt alles sofort und führt zu Kritik. Wie können Führungskräfte eine gesunde Fehlerkultur in ihren Teams oder Unternehmen entwickeln?
Ich trenne Kritik in zwei Bereiche: die Manöverkritik und die persönliche Kritik. Persönliche Kritik zum Beispiel über Entscheidungen sollte immer in einem Vier-Augen-Gespräch stattfinden. Es geht um einen respektvollen Umgang und nicht um das Bloßstellen eines/einer Einzelnen.
Bei der Manöverkritik sollte man sich die jeweiligen Positionen im Team anhören und besprechen. Oftmals haben die unterschiedlichen Parteien einen differenzierten Wissensstand. Niemand macht absichtlich einen Fehler. Oftmals entstehen Fehler durch unterschiedliche Kenntnisse der Situation oder stellen sich erst später als Fehler heraus. Es ist wichtig zu erläutern, warum zum Zeitpunkt der Entscheidung die Handlung nachvollziehbar war und zu ergründen, an welchem Punkt sich diese Entscheidung als Fehler herausgestellt hat. Aus solchen Analysen kann man abstrakt ableiten, wie man zukünftig ähnliche Probleme vermeidet. So hilft man allen und stärkt die Kommunikation im Team.
7. Abschließend: Wie definierst du für dich persönlich „Erfolg“ und „Erfüllung“?
Erfüllung ist für mich jeden Tag das zu tun, was ich liebe und Erfolg ist es, wenn ich dies mit anderen Menschen teilen und sie dazu befähigen kann.
Bonusfrage: Wo siehst du aktuell im Digital Marketing oder auch darüber hinaus Entwicklungen, die Unternehmen wohlmöglich zum Scheitern bringen werden? Welchen Rat würdest du den Verantwortlichen mitgeben?
Ganz häufig komme ich in Unternehmen, die sich auf gänzlich falsche Daten stützen oder diese einfach ignorieren. Der Werte Kollege Kevin Indig hat es so passend ausgedrückt: “Eine Metrik ist nutzlos, wenn eine Veränderung zu keiner Handlung führt”.
Vielen geht es darum, einfach Metriken zu messen und Daten zu sammeln, damit sie irgendetwas getan haben. Man verliert dann seinen Handlungsspielraum und wird zum/zur reinen Beobachter:in. Man handelt nur noch reaktiv und wird mit der Zeit seinen Fokus verlieren.
Erfolg ist immer nur eine Momentaufnahme und entsprechend vergänglich.