Nicht immer läuft im Business alles rund. Manchmal geht ein Plan nicht auf und man scheitert. Ich bin der festen Überzeugung, dass diesen Geschichten viel zu wenig Bühnen gegeben wird. Und das obwohl die Learnings daraus mehr wert sind als 100 Bücher darüber, wie man erfolgreich wird. Daher will ich mit dieser Interviewserie Menschen zu Wort kommen lassen, die gescheitert und wieder aufgestanden sind. Führungskräften wie Jan Kaiser, Gründer und Geschäftsführer bei Xanevo, der sich meinen 7 Fragen gestellt hat und seine Erfahrungen mit mir teilt..

 

Jan Kaiser

Jan Kaiser
Gründer und Geschäftsführer bei Xanevo

Jan Kaiser hat einen Hintergrund als mehrjähriger KI Berater und ist Mitgründer der Xanevo GmbH – somit verantwortet er seit über zwei Jahren ein gemischtes Team, das in der Größe zwischen fünf bis neun Leuten variierte. Zusammen beraten sie Unternehmen im Bereich E-Commerce und Affiliate Marketing darin, wie sie ihre Texte mehrsprachig skalieren können, und setzen dies in Form von Automatismen auf.

 

1. Welches Buch, Blog oder Podcast hat dich für die Themen Leadership und Unternehmertum positiv geprägt und würdest du weiterempfehlen?

Die Story der Antarktisexploration beschrieben in Shackleton’s Way hat mich sicherlich nachhaltig geprägt. Kurzum geht es darum, dass Shackleton eine Reihe schwierige, aber dennoch wohl durchdachte Top-Down Entscheidungen traf, welche schlussendlich zum Überleben seiner gestrandeten Explorationstruppe führte.

 

2. Du bist schon mal mit einem Business gescheitert. Magst du uns beschreiben, was dir wiederfahren ist und wie es dazu kommen konnte?

Im Grunde genommen ist eine gemeinsame Vision gescheitert, das Business gibt es zum Glück noch heute. Hierfür muss man einige Jahre zurückspulen in den Mai 2021. In diesem Monat trafen sich Timo, Jeffrey & ich, um uns gemeinsam für die Gründung einer GmbH zu entschließen, welche allen voran Folgendes tun sollte: Menschen von unnötiger händischer Arbeit abnehmen, die sie ankotzt. Praktisch die Befreiung aus dem Hamsterrad, hin zu einer Position, aus welcher heraus Prozesse optimiert werden können, anstatt sie stets zu wiederholen.

Ich muss hierzu erwähnen, dass ich damals Freiberufler war und bereits einen Bestandskunden hatte, welcher unser Gründungsteam (drei Gründer & zwei weitere Freiberufler) als Auftraggeber finanzierte. Es war mir klar, dass ich diese Chance ergreifen muss, um bereits früh ein Team hinter mir zu haben, das mir die Freiheit gibt unternehmerisch zu handeln, anstatt selbst jeden Tag in Projekten zu stecken.

Long story short: Wir waren ein ambitioniertes, aber gleichzeitig unerfahrendes Gründerteam im Alter von durchschnittlich 23 Jahren. Die damalige Wirtschaftslage zur Corona Zeit bot eine hohe Offenheit gegenüber digitaler Dienstleistungen, welche in kurzer Zeit wieder kippte. Wir arbeiteten primär mit Fashion E-Commerce Unternehmen zusammen, welche unter diversen Einflüssen litten: Alte Muster kehrten wieder als sich Corona Maßnahmen lockerten, der Ukrainekrieg hinterlässt Spuren, Galeria Kaufhof meldete erneut Insolvenz an und ChatGPT trat in den Markt. Unser Hauptumsatz waren und sind automatisiert generierte Produkttexte für Fashion Onlinehändler. Unpraktisch, oder?

Für einen „Pivot“ zu spät, entschieden wir die Gründerkonstellation aufzulösen. Mitarbeitende gingen teils von selbst, teils gekündigt. Im Januar 2023 waren wir von acht Leuten nur noch zu viert. Die ursprüngliche Vision des Gründungsteams starb somit, wenngleich die Freundschaft weiterhin besteht.

 

3. Welche persönlichen Konsequenzen hat(te) das Scheitern für dich und durch welche Achterbahn der Gefühle bist du gegangen? Was hat dir geholfen, wieder aufzustehen und nach vorn zu schauen?

Wer mich kennt, weiß dass ich schon immer ausgesprochen hart im Nehmen war. Ich komme aus einer Familie mit geschiedenen Eltern, die sich immer wieder um das Sorgerecht stritten. Als Kind war ich zudem etwas merkwürdig – früh eingeschult war ich zwar klug, aber geistig nicht so reif wie meine Mitschüler, das bot Angriffsfläche. Kurzum: ich lernte früh alleine zurechtzukommen und mit negativen Emotionen umzugehen.

Aus diesem Grund fiel ich im Fall von Xanevo nicht auf die Knie, sondern blieb standhaft und bereitete mich auf die Situation vor: emotional, körperlich und auch zeitlich.

Ein „Scheitern“ tritt oftmals nicht plötzlich auf, es ist ein Prozess, der sich anbahnt. Dies zeichnete sich in verschiedenen Aspekten ab. Die Motivation sank, finanziell sah es nicht glänzend aus und auch der Vertrieb lief nicht gerade blendend.

Das Schwierigste war es, zu versuchen die Motivation des Teams oben zu halten. Erwartungshaltungen managen, das Team anfeuern, einen Haufen Energie in die Arbeit stecken und dabei schauen, dass man selbst nicht dabei untergeht. Denn wer zieht einen selbst, wenn man versucht an der Spitze zu sein und alle anderen zu ziehen?

Emotional half der offene Umgang mit dem Team und der positive Zuspruch, als auch das Vertrauen, das man mir entgegen brachte. „Wenn das wer schafft, dann du. Wir glauben an dich.“ Stark, das gibt Energie. Zeitlich krempelte ich meinen Kalender um, sagte Treffen mit Freunden und Familie ab und sah zu, dass ich die Zeit auf der Arbeit nach Möglichkeit auch optimieren kann. Und damit ich körperlich ebenfalls durchhielt, suchte ich mir einen Biohacking Coach – Björn Kurtenbach – mit dem ich frühzeitig sprach und meinen Schlaf, meine Ernährung, meine Achtsamkeit und den nachhaltigen Umgang mit Stress & mir selbst verbesserte.

Liest sich nicht wie scheitern oder eine Niederlage? Klar bin ich enttäuscht über den Rückschlag, aber ich blicke in der Regel stets nach vorne.

 

4. Bereust du den Schritt, den du damals gegangen bist, oder bist du eher dankbar für die damit einhergehenden Erfahrungen? Welche Learnings nimmst du mit und hast du heute weniger Angst zu scheitern?

Kurzum: Nein. Ich bereue keine Sekunde der letzten Jahre, da dies ausschließlich wertvolle Erfahrungen sind, die ich mitnehme. Nicht viele trauen sich mit 23 zu gründen und ich nehme ausschließlich Learnings für die Zukunft mit.

Angst zu scheitern hatte ich von Anfang an nicht, das ist jedoch vielleicht meinem Background zuzuschreiben. Meine Mentalität hier ist ganz einfach: „Was soll schon passieren?“

Ich lebe in Deutschland und habe Informatik studiert. Realistischerweise wäre ich – falls Xanevo endgültig gescheitert wäre – wieder in die Industrie gegangen oder hätte erneut gegründet. Auch als Freiberufler hätte ich sicherlich wieder weitermachen können.

 

5. Scheitern wird in Deutschland oft stigmatisiert. Woran liegt das deiner Meinung nach? Warum tun Menschen alles dafür, nicht zu scheitern und wie kann man die Angst vorm Scheitern überwinden?

Wirklich belegen kann ich das nicht, jedoch glaube ich, dass der ständige Medienkonsum durchaus eine Rolle spielt. Menschen schreiben lieber über Erfolgsstories, ob wahr oder nicht. Das Narrativ wird in der Regel so ausgelegt, dass es Leser anzieht oder Menschen dazu bewegt, den „Like“-Button zu drücken. Daher ist ein Kurzvideo mit der Rolex am linken Arm und dem Blick vom Dachgeschoss eines 50-stöckigen Hochhauses für die Selbstdarstellung gegenüber der Online-Audienz gar nicht so ungeeignet.

Gleichzeitig bin ich aber auch der Meinung, dass Scheitern nicht überglorifiziert werden sollte. Learnings nach dem Scheitern sind gut, eine vorher gut durchdachte Strategie und eine effiziente Steuerung sind in vielen Fällen aber besser.

Ich glaube in Deutschland sind wir in einem Land der Denker und Skeptiker. Wir investieren lieber in nachweislich funktionierende Konzepte, als das nächste Moonshot Projekt. Einem vielfach zertifizierten Coach wird eher vertraut als dem Menschen, der mit Herz, Seele und Verstand hinter seinem Konzept steht.

Auch ich versuche nach Möglichkeit nicht zu viel zu scheitern. Hier und da habe ich mal gehört, dass das richtige Maß – nämlich um die 85% – den optimalen Lerneffekt herbeiführt. Wer häufiger scheitert tendiert zur Bitterkeit, wer seltener scheitert bleibt auf der Stelle stehen. Das halte ich für ausgesprochen einleuchtend.

 

6. Scheitern geht oft nicht ohne Fehler einher. Nicht immer klappt alles sofort und führt zu Kritik. Wie können Führungskräfte eine gesunde Fehlerkultur in ihren Teams oder Unternehmen entwickeln?

Das ist nicht ganz korrekt, wie ich finde. Oder wir haben nicht die gleiche Definition von Scheitern.

Schließlich kann es doch auch sein, dass man scheitert, ohne einen einzigen Fehler gemacht zu haben, oder? Ich bin gescheitert, weil ich beim Lottospiel die Kreuze falsch gesetzt habe. Aber war meine Wahl ein Fehler?

Zwar schrieb ich, dass ich „KI Berater“ bin, jedoch finde ich die Abkürzung KI (Künstliche Intelligenz) etwas unpraktisch. In einigen Kreisen würde man sagen, dass ich Data Science Berater bin, oder sowas ähnliches. Und das hat viel mit Statistik zu tun.

Daher bin ich auch ein Freund der begründeten Entscheidungen und nutze das Feld der „Decision Intelligence“ ganz gerne, um meine eigenen Entscheidungen zu treffen, oder um die richtigen Fragen zu stellen, wenn jemand bei mir im Team an etwas scheitert.

  • „Was war der Grund oder der Auslöser, dass XYZ nicht (beim ersten Mal) geklappt hat?“
  • „Hätte man diese Situation vermeiden können? Falls ja, was müssen wir zukünftig dafür tun?“
  • „Kann ich Dir in irgendeiner Art und Weise eine Hilfe sein, wenn Du zukünftig wieder vor XYZ stehst?“

Diese und viele weitere Fragen helfen mir dabei, dass die gescheiterte Person zum kritischen Nachdenken angeregt wird. Keiner ist perfekt, das gilt auch für die Arbeit, die jemand erfüllt. Perfekte Arbeit ist sowieso in meiner Branche nicht wirtschaftlich und alles andere als förderlich für alle Beteiligten.

Hier finde ich wichtig, dass dies sowohl dem Kunden als auch dem Team klar ist, ohne dass dies als Ausrede zum schlampig arbeiten verwendet wird.

 

7. Abschließend: Wie definierst du für dich persönlich „Erfolg“ und „Erfüllung“?

Für mich ist Erfolg etwas sehr subjektives, daher wirst Du wahrscheinlich einige sehr unterschiedliche Antworten erhalten. Hierüber musste ich einige Minuten grübeln:
Erfolg ist das Erfüllen einer Sache unter Beachtung selbst gesetzter Regeln und Erwartungen, sowie aufgebrachter Energie.

Hiermit möchte ich implizieren, dass das Wort „Erfolg“ keine banalen Dinge einschließt, wie das schlichte Einschenken von Wasser oder morgens ganz normal aus dem Bett aufzustehen. Unter Betrachtung erschwerter Umstände oder im Rahmen von auferlegten Regeln, zum Beispiel „morgens um 4 sofort aufstehen, wenn der Wecker klingelt“, kann dazu führen, dass ich auch das morgentliche Aufstehen durchaus als Erfolg anerkennen würde.

Das Wort „Erfüllung“ hingegen verbinde ich damit, im Einklang mit sich selbst und seinen Werten zu sein. Ich assoziiere dies mit dem Bild, dass alles am rechten Platz ist, jedoch ständig im Fluss.

 

Bonusfrage: Wo siehst du aktuell im Digital Marketing oder auch darüber hinaus Entwicklungen, die Unternehmen wohlmöglich zum Scheitern bringen werden? Welchen Rat würdest du den Verantwortlichen mitgeben?

Das Internet wird aktuell mit dem tausendsten Beitrag geflutet, wie man eine Landing Page baut, dass ETFs langfristig die bessere Wahl als Broker sind, oder dass Bananen radioaktiv sind. Wenngleich dadurch ein gewisses Maß an Expertise in einem Bereich dargestellt werden kann, so steuern sie nicht viel Wert bei.

Und dennoch gibt es nun etwaige KI-Tools, die es einem leichter machen neue Blogbeiträge zu erstellen, Social Media Kanäle zu fluten, Ad Creatives wie auf dem Laufband zu drucken, um ein paar der Marketing Kanäle zu nennen, die wohlmöglich nun gefährdet sind oder scheitern könnten.

Denn die Realität ist: aktuelle Trends und Technologien sind nicht nur ein Hype, sie werden bleiben und uns weiter begleiten. Vermutlich wird es sogar so sein, dass sich die Zeiträume verkleinern werden, in welchen sich disruptive Technologien auf den Digital Marketing Bereich ausüben werden.

Das stresst Entscheider auf Käufer- und Verkäuferseite im B2B-Umfeld, das stresst Teams von Entscheidern und schlussendlich auch ganze Organisationen. Hierzu könnte man vermutlich eine eigene Blogreihe oder einen Podcast dazu aufnehmen.

Aber das Ende vom Lied ist: Meiner Meinung nach kommt Change schneller und häufiger. Dafür sind die meisten Firmenkulturen nicht ausgelegt. Dafür sind viele Mitarbeitende auch nicht ausgelegt, geschweige denn daran gewöhnt. Oft wird man doch angestellt, um eine Sache nach Schema X wieder und wieder abzuarbeiten.

Wer das weiterhin so macht, wird mittel- und langfristig scheitern.

 

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