In dieser Interviewserie stelle ich 7 Fragen an Führungskräfte, die sprichwörtlich eine Verbindung „nach oben“ pflegen. Es handelt sich hierbei um Personen aus der Kirche und Wirtschaft, die Leadership wohlmöglich noch einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Ich möchte herausfinden, was „Spiritual Leadership“ für sie bedeutet und inwiefern ihr Glaube an Gott ihre Führungstätigkeiten beeinflusst. Darf ich also vorstellen? Clemens Lutter, Geschäftsführer des ICF München. Er wird mir im Folgenden Rede und Antwort stehen…

 

Clemens Lutter

Clemens Lutter
Geschäftsführer des ICF München

Clemens Lutter ist geschäftsführender Vorstand im ICF München e.V. seit mehr als 10 Jahren. ICF München ist eine überkonfessionelle Freikirche mit mehreren Standorten rund um München. Wöchentlich kommen über 1.500 Menschen in einen der Gottesdienste und genauso so viele nutzen das Angebot der Online Church. Clemens Lutter ist seit 2006 Teil der Kirchengemeinde und hat verschiedene Bereiche verantwortet und mit aufgebaut. Heute ist die Organisation „ICF München“ mit 70 Angestellten in Voll- und Teilzeit und einem Spendenvolumen von 4,5 Mio. Euro eine kleine mittelständische Unternehmung.

 

1. Welches Buch, Blog oder Podcast hat dich als Führungskraft positiv geprägt und würdest du weiterempfehlen?

Ich lese sehr gerne Biografien, so hat mich beispielsweise der Mut und die Tatkraft von Bruder Andrew – Der Schmuggler Gottes – in vielerlei Hinsicht inspiriert. Während des Kalten Kriegs machte er sich auf den Weg Christen hinter dem Eisernen Vorhang zu besuchen, zu ermutigen und mit Bibeln zu versorgen. In meiner Rolle als Leader und Führungskraft inspirieren mich immer wieder aufs Neue der Leadership Podcast unseres leitenden Pastors Tobias Teichen. Er versteht es Dinge einfach und konkret auf den Punkt zu bringen und dabei weder Unternehmung noch Person aus dem Blick zu verlieren.

Und für jeden, dem es schwer fällt gute Entscheidungen zu treffen, kann ich das Buch CHOOSE – Weil Vielleicht keine Entscheidung ist von Tobias Teichen empfehlen. Es gibt konkrete Hilfestellung und Anleitungen wie ich in meinem Leben zu guten Entscheidungen kommen kann.

 

2. Woran glaubst du bzw. wie würdest du deine Weltanschauung beschreiben?

Ich bin Christ, glaube an Jesus Christus als Sohn Gottes und an die Bibel. Diese Glaubensfundament prägt meine Werte und Einstellung in Bezug auf alles: Arbeit, Karriere, Familie, Beziehung, Erziehung. Dieser Glaube prägt meinen Alltag: ich starte regelmäßig mit einer Zeit des Gebets und Bibel lesen in den Tag und hole mir Gottes Perspektive auf das ab, was ansteht. Ich durfte schon viele Male erleben, wie ich Blitzgedanken und Impulse aus dieser Zeit der Schlüssel für Situationen im Laufe des Tages waren – egal ob beruflich oder privat.

 

3. Ist Glaube für dich eine Privatsache? Inwiefern beeinflusst deine Spiritualität deine Rolle als Führungskraft?

Mein Glaube beginnt im Privaten, aber er hat selbstverständlich Auswirkungen darüber hinaus. Es beeinflusst meinen Blick auf das Unternehmen, die Gesellschaft, meine Mitarbeiter und vieles mehr. Wie bereits erwähnt, ist der Start mit Gott in den Tag für mich sehr wichtig. Es ist ein Moment täglichen Neuausrichtung: worauf kommt es an, was ist Gott wichtig und wie sieht er Situationen und Menschen.

Konkret wird es zum Beispiel im Umgang mit den Mitarbeiter:innen. Jeder Mitarbeitende hat seine Stärken und Schwächen. Ich möchte sie nicht nur aus menschlicher Perspektive betrachten, sondern auch aus „göttlicher Perspektive“: Wer hat welche Stärken? Wie kann ich Stärken bestmöglich einsetzen? Wie kann ich Schwächen ausgleichen oder ein sich ergänzendes Team zusammenstellen?

Dabei ist ein von der Bibel und dem christlichen Glauben geprägtes Menschenbild das Fundament: jeder Mensch ist ein von Gott geliebtes Geschöpf und einzigartig, gleichzeitig brauchen wir „Gottes Hilfe“ und Ergänzung durch andere. Das schafft Raum für eine gesunde Zusammenarbeit und gleichzeitig eine konstruktive Fehlerkultur.

 

4. Wie gehst du mit Menschen um, die andere Glaubensüberzeugungen haben? Wo fühlst du dich mit deinem Glauben manchmal missverstanden und was würdest du dir in diesem Zusammenhang von deinem Umfeld wünschen?

Wir leben als Kirche eine Willkommen-Zuhause-Kultur. Das bedeutet, dass jeder willkommen ist, wie er ist und was er mitbringt. Ich liebe es ins Gespräch mit anderen Menschen zu kommen, eventuell das ein oder andere zu diskutieren und sich dann aber auch wieder gegenseitig stehen lassen zu können. Wir sind schließlich „unterwegs“ und haben nicht die volle Erkenntnis. Ich schätze ein gewisses Maß an Demut sehr.

Ein großes Missverständnis gegenüber uns als Kirchen ist sicher, dass Menschen in die Kirche passen müssen. Dem ist nicht so. Die Kirche soll für die Menschen da sein und nicht andersherum. Ein Beispiel: Man kann das Gefühl haben, dass die Form und Sprache der Kirche vor einiger Zeit stehen geblieben ist oder auch Christsein „nur“ etwas für den Sonntag ist. Wir (als Kirche aber auch als einzelne:r Christ:in) fragen uns ständig, wie sieht Christsein und Glauben heute aus, wie wird es im Alltag praktisch und wie passt die „Form und Farbe von Kirche“ in die heutige Gesellschaft. Ich bin überzeugt, dass der christliche Glaube nach wie vor Relevanz hat und es manchmal nur an der „richtigen Übersetzung“ in unsere heutige Zeit fehlt. Als ICF-Kirchen machen wir den Versuch und man kann sich bequem von zuhause am Sonntag via YouTube ein Bild davon machen.

 

5. Sowohl in der Kirche als auch in der Wirtschaft ist Leadership notwendig. Im kirchlichen Kontext gilt es nur häufiger auch ehrenamtliche Mitarbeiter:innen zu leiten. Welchen Unterschied macht es aus deiner Perspektive, ob man als Führungskraft mit Angestellten oder Ehrenamtlichen zusammenarbeitet?

Die offensichtlichsten Unterschiede zu einem bzw. einer Angestellten sind die Verfügbarkeit, „Arbeiten gegen Geld“ sowie Verbindlichkeit. Ein:e ehrenamtliche:r Mitarbeiter:in hat vielleicht ca. 10h in der Woche Zeit sich zu engagieren, muss „ohne Geld“ für ein Thema oder Anliegen gewonnen werden und kann spontan wieder abspringen.

Daher haben diese Aspekte ein besonderes Augenmerk in der Zusammenarbeit. Wir gewinnen Mitarbeiter:innen über ihre Stärken, Leidenschaften und Fähigkeiten und suchen einen Platz, wo sie diese am besten ausspielen können. An diesem Platz fördern und entwickeln wir sie weiter. Wo das gut gelingt, lieben es Mitarbeiter gemeinsam mit uns langfristig und verbindlich unterwegs zu sein. Und trotzdem ist das ehrenamtliche Zeitkontingent irgendwann erschöpft. Deswegen heißt es dann entweder weitere ehrenamtliche Mitarbeitende gewinnen oder prüfen, ob eine Anstellung in der Kirche der richtige Schritt ist.

In der übergeordneten Betrachtung spielen im ehrenamtlichen Bereich sicher die ideelle Überzeugung, die Wertschätzung und enge Begleitung der Mitarbeiter eine tragende Rolle, da Mitarbeiter:innen sich schneller wieder verabschieden, wenn etwas nicht stimmt. Aber ich bin überzeugt, dass jedes Unternehmen, das diesen Themen große Aufmerksamkeit gibt und sich über eine gesunde und starke Arbeitsatmosphäre freuen kann.

 

6. Was bedeutet es für dich konkret „geistlich zu führen“? Kannst du mir hier vielleicht von einem persönlichen Beispiel erzählen, was im Zusammenhang mit deiner Führungsposition stand?

Ich leite Menschen immer ganzheitlich: ich kann nicht nur die Arbeitsleistung betrachten und von dem Menschen und seinen Lebensumständen trennen. Gibt es beispielsweise eine Krise in der Ehe oder schwerwiegende Schicksalsschläge, muss dies Vorrang haben und ist genauso wichtig bzw. wichtiger zu lösen. Hier braucht es Flexibilität in der Gestaltung von Arbeit, was am Ende beiden dient: Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen.

Und natürlich nutze ich das Gebet in meiner Führung: ich bete regelmäßig für meine Mitarbeiter:innen und das Unternehmen. Ich frage Gott, was aus seiner Sicht die besten nächsten Schritte sind. Hier bekomme ich häufig überraschende Gedanke, die Situationen (fast) von selbst lösen. Ein Beispiel ist die Suche nach einer Nachfolge für eine Assistenz. Mir fiel im Gebet eine Name ein, ich fragte die Person und sie sagte zu. Sie hatte nämlich selbst aus dem Gebet bereits einige Wochen mit dem Gedanken gespielt, zu fragen, ob das ICF nicht genau an dieser Stelle eine Person sucht. Es lief wie von selbst ohne aufwendige Bewerbungsprozedur.

 

7. Welche biblische Geschichte, Figur oder Aussage fasziniert dich im Hinblick auf das Thema Führung und könnte für Führungskräfte (ganz egal, ob sie sich selbst als gläubig betrachten oder nicht) ein wertvoller Impuls für ihren Führungsalltag sein?

Mich inspiriert Mose im Ersten Testament der Bibel. Gott hatte ihn beauftragt ein Millionenvolk zu leiten ohne das Mose große Vorkenntnisse hat. Dabei kam er regelmäßig an seine Leadership-Grenzen. Aber er war lernbereit, suchte Gottes Rat und stellte sich der Herausforderung. Wenn man die Geschichte aufmerksam liest, findet man eine Leadership Insigths, die bis heute Gültigkeit haben. Ein Beispiel kann man in der Bibel in 2. Mose 18, Vers 14ff lesen. Kurz gesagt: sein Schwiegervater schlug ihm vor, wie er seine Organisation aufbauen und gute Team- und Führungsstrukturen in dem Volk etablieren kann.

 

Bonusfrage: Religion wird gern als „Opium für’s Volk“ verstanden. Doch die Mitgliedszahlen der staatlichen Kirchen gehen von Jahr zu Jahr zurück. Gleichzeitig hört man auch immer wieder Geschichten von kirchlichen Leitern, die ihr Amt missbrauchen oder gar in Missbrauch verwickelt sind. Das Christentum scheint in Europa auf einem Abstellgleis zu stehen. Stimmt dies so aus deiner Sicht überhaupt? Hat die Kirche wohlmöglich ein Führungsproblem?

Der christliche Glaube hat heute immer noch große Relevanz. Die Botschaft der Bibel von Hoffnung, Liebe und Glaube kann mehr denn je gerade in heutigen Zeit Orientierung und Halt geben. Es gibt eine große Vielfalt an christlichen Kirchen und Gemeinden. Die Organisation „Kirche“ hat leider beschämende Seiten und einige Fehler gemacht. Das kommt in jeder Organisation vor; vor allem, wenn sie tausende Jahre alt ist (welches Unternehmen sonst hat solch eine lange Geschichte). Der heutige Umgang mit diversen Krisen lässt auch für mich die ein oder andere Frage offen und wirkt nicht immer sehr geschickt. Ich wäre aber sehr vorsichtig, „der Kirche“ die Wichtigkeit in der Gesellschaft abzusprechen. Es müssen Dinge geändert werden und die Kirche muss zu ihrem Kern zurückfinden: gläubige Menschen kommen zusammen, teilen ihren Glauben und nehmen mutig und selbstlos positiven Einfluss auf ihr Umfeld.

Deswegen ist das auch das Motto von ICF Kirchen „Kirche neu erleben“: der christliche Glaube zeitgemäß in die Sprache der Zeit übersetzt ohne Kompromisse zu machen.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert