Nicht immer läuft im Business alles rund. Manchmal geht ein Plan nicht auf und man scheitert. Ich bin der festen Überzeugung, dass diesen Geschichten viel zu wenig Bühnen gegeben wird. Und das obwohl die Learnings daraus mehr wert sind als 100 Bücher darüber, wie man erfolgreich wird. Daher will ich mit dieser Interviewserie Menschen zu Wort kommen lassen, die gescheitert und wieder aufgestanden sind. Führungskräften wie Ann-Kathrin Reitmeyer, Head of Content & Digital Learning bei Serlo e.V., die sich meinen 7 Fragen gestellt hat und ihre Erfahrungen mit mir teilt..

 

Ann-Kathrin Reitmeyer

Ann-Kathrin Reitmeyer
Head of Content & Digital Learning bei Serlo

Ann-Kathrin Reitmeyer ist seit bald 10 Jahren im Online Marketing mit Fokus SEO unterwegs. Aktuell ist sie Head of Content & Digital Learning bei Serlo e.V. und hat zuvor das Organic Growth Department bei StudySmarter geleitet. Führung bedeutet für Ann-Kathrin Verantwortung für die Menschen im Team zu übernehmen, positive Beziehungen aufzubauen und vor allem auch eine regelmäßige und intensive Auseinandersetzung mit sich selbst. Darüber hinaus beschäftigt sich Ann-Kathrin mit den Themen Mental Health, einem positiven Wandel unserer Arbeitswelt, ist Speakerin und sportvernarrt.

 

1. Welches Buch, Blog oder Podcast hat dich für die Themen Leadership und Unternehmertum positiv geprägt und würdest du weiterempfehlen?

Zuletzt habe ich Think Again von Adam Grant gelesen und kann das Buch absolut jeder Führungskraft (aber auch allen anderen) ans Herz legen. Tatsächlich passt das Buch auch sehr gut zum Thema “Scheitern” und wie wir konstant lernen können uns weiterzuentwickeln, statt uns zu verurteilen und zu schämen. Adam Grant plädiert für ein “Scientist”-Mindset, das es uns erlaubt, unsere Ansichten regelmäßig zu challengen und offen mit uns selbst und anderen umzugehen.

 

2. Du bist schon mal mit einem Business gescheitert. Magst du uns beschreiben, was dir wiederfahren ist und wie es dazu kommen konnte?

In meinem Fall bin ich nicht mit einem Business gescheitert, sondern viel mehr an mir selbst und den äußeren Umständen. Seit ich das erste Mal mit SEO in Berührung kam, waren mir meine Ziele absolut klar. Ich war von Anfang an beeindruckt von den “SEO-Urgesteinen” (wir wissen alle, wer damit gemeint ist ;)), ich wollte genauso viel Wissen und Erfahrung sammeln und auch auf den großen Konferenzen sprechen.

Als ich im Juli 2021 bei StudySmarter angefangen habe, habe ich die große Chance gesehen, SEO und alles darum herum aufzubauen und mitzugestalten. Damals war im Unternehmen das Motto “hyper-growth”, alles ist wahnsinnig schnell gegangen, in kürzester Zeit wuchs StudySmarter von unter 100 Mitarbeiter:innen auf mehr als 500 und auch unser Organic Traffic ist durch die Decke gegangen. So eine Wachstumsphase verlangt einem viel ab. Schließlich hat sich dieses Wachstum leider auch wieder umgekehrt und es fanden erste Layoffs statt.

Ich habe es während des starken Wachstums kaum geschafft, mir Zeit zu nehmen, zu reflektieren und tatsächliche Pausen einzulegen. Was mit der Zeit jedoch immer lauter wurde, war ein Wertekonflikt, was das Führen von Menschen und die Wertschätzung von Mitarbeiter:innen angeht. Auch kam mir immer wieder der Gedanke, dass Wachstum nur um des Wachstums willen ein Selbstzweck ist, der den Mitarbeitenden in einem Unternehmen durchaus auch schaden kann. Mit den ersten Layoffs Menschen aus dem eigenen Team gehen lassen zu müssen, die man selbst angeworben und eingearbeitet hatte, war wie einen Turm umzuschmeißen, den man mühevoll aufgebaut hat.

Ab diesem Zeitpunkt setzte bei mir immer größere Erschöpfung ein, die Diagnose: Erschöpfungsdepression (Burnout). Es hat von da an noch Monate gedauert mir einzugestehen, dass die Energie nicht einfach plötzlich wieder kommen würde. Ich habe dann meine Position bei StudySmarter abgegeben – ohne Plan B. Für mich war das ein riesiges Scheitern, vor allem weil es sich wie das Ende angefühlt hat von meinen großen “SEO-Karriere-Plänen”.

 

3. Welche persönlichen Konsequenzen hat(te) das Scheitern für dich und durch welche Achterbahn der Gefühle bist du gegangen? Was hat dir geholfen, wieder aufzustehen und nach vorn zu schauen?

Die Konsequenzen lagen für mich in erster Instanz darin, dass ich keine Energie und vor allem keine Motivation mehr hatte. Das hat sich vor allem auch auf mein Umfeld ausgewirkt, Freund:innen und Familie. Die Erschöpfung bezieht sich ja dann nicht mehr nur auf den Job, sondern auch auf private Aktivitäten. Mich hat das “Aufgeben” vor allem auch dazu bewegt, mich praktisch vollständig zu hinterfragen: “Will ich überhaupt noch SEO machen?”, “Bin ich doch nicht so stark?”, „Was, wenn ich mich jetzt für immer so fühle?”. Vor allem habe ich mich auch dafür verurteilt, dass ich es überhaupt so weit habe kommen lassen. Dass ich teilweise auch entgegen meiner Werte gehandelt habe. Das hilft natürlich erstmal nicht weiter.

Was mir schlussendlich geholfen hat, war eine Kombination aus verschiedenen Dingen: Zunächst einmal war das „Scheitern“ die erste notwendige Maßnahme, denn nur so konnte ich den Pause-Knopf drücken und wirklich Abstand gewinnen. Weiter geholfen hat mir eine Therapie und damit verbunden ein intensives Auseinandersetzen mit mir selbst. Und so banal es klingt: Intensiver Sport, bei dem ich mich auspowern konnte. Was stattgefunden hat, war ein Realignment mit mir selbst. Das war notwendig, um wieder neue Energie zu tanken, es bleibt aber auch ein fortwährender Prozess.

 

4. Bereust du den Schritt, den du damals gegangen bist, oder bist du eher dankbar für die damit einhergehenden Erfahrungen? Welche Learnings nimmst du mit und hast du heute weniger Angst zu scheitern?

Heute kann ich klar sagen: Nein, das bereue ich nicht. Es war ein ganz wichtiger Schritt für mich, mir einzugestehen, dass hier einfach eine Grenze erreicht war. Dennoch wünsche ich mir manchmal, ich hätte es nicht so weit kommen lassen. Learnings hatte ich unglaublich viele durch diese Erfahrung, die folgenden würde ich aber als die relevantesten bezeichnen:

  • Ich achte besser auf meine Grenzen und meine Wertvorstellungen. Man kann auch einen sehr guten Job machen und eine sehr gute Führungskraft sein, ohne mental 24/7 beim Job zu sein. Das ist sogar eher ein schlechtes Vorbild für das Team.
  • Ich vertraue mehr auf mein Bauchgefühl, wenn es um die Zusammenarbeit mit Menschen geht. Für die mentale Gesundheit ist unser Umfeld ein wahnsinnig großer Einflussfaktor. Vor allem als Führungskraft hat man einen großen Einfluss auf die mentale Gesundheit des Teams.
  • Ja, wir wünschen uns alle Anerkennung von außen (und das ist auch normal und muss nicht verteufelt werden), dennoch ist es wahnsinnig wichtig, auch Wert aus sich selbst schöpfen zu können. Nur dann, kann ich wirklich auch meine eigenen Energiereserven achten und auch einmal “Nein” sagen, selbst wenn etwas noch so toll im Außen klingen würde.

Mein Blickwinkel auf das Scheitern hat sich durchaus stark verändert. Vor allem dadurch, dass ich gelernt habe: “Scheitern bezieht sich auf ein Projekt, nicht auf dich als Mensch.”

 

5. Scheitern wird in Deutschland oft stigmatisiert. Woran liegt das deiner Meinung nach? Warum tun Menschen alles dafür, nicht zu scheitern und wie kann man die Angst vorm Scheitern überwinden?

Aus meiner Perspektive beginnt das leider schon ganz früh in der Schule. Kinder sind von Natur aus neugierig, probieren Dinge aus und lernen so Neues. Sie gewinnen Selbstvertrauen, indem sie Selbstwirksamkeitserfahrungen machen. Mit Beginn der Schulzeit wird dieser Anteil weniger, wir werden reduziert auf Noten und lernen hauptsächlich für Tests, weniger für die Erfahrung oder ein tatsächliches Erlernen. Der Fokus verschiebt sich auf Schwächen-Orientierung statt Stärkenorientierung. Es wird nicht gefördert, worin man sehr gut ist, sondern beharrt auf den Dingen, in denen man nicht gut genug ist. Nach dem Motto “Wenn du nicht in allem sehr gut bist, dann machst du etwas falsch.” Ich erinnere mich noch gut, dass es auch bei vielen Eltern im Zeugnis nicht darum ging, die 10 sehr guten Noten zu loben, sondern nachzubohren, warum es in einem Fach denn “nur eine 3” ist. Wir lernen also: vermeintliches Scheitern bedeutet Ablehnung, oft von den Menschen, von denen uns Anerkennung am wichtigsten ist.

Die Angst vor dem Scheitern zu überwinden kann aus meiner Perspektive für mich auf verschiedenen Ebenen stattfinden:

  • An der eigenen Wahrnehmung und Einstellung arbeiten. Man kann sich z.B. fragen “Wie reagiere ich, wenn jemand anderes scheitert?” Aus dieser Antwort lerne ich schon viel über meine eigene Einstellung dazu.
  • Sich ein Netzwerk aufbauen, dass einem Sicherheit gibt und auch beim “Scheitern” weiterhin unterstützt, statt abzulehnen.
  • Dinge mit einem “explore”-Mindset angehen: “Ich probiere etwas aus”, statt “Ich mache das jetzt und es muss funktionieren”.

 

6. Scheitern geht oft nicht ohne Fehler einher. Nicht immer klappt alles sofort und führt zu Kritik. Wie können Führungskräfte eine gesunde Fehlerkultur in ihren Teams oder Unternehmen entwickeln?

Ich denke hier lautet das Stichwort “psychologische Sicherheit” und das ist nicht nur die Führungsaufgabe im Team, sondern in der gesamten Unternehmenskultur. Diese herzustellen ist natürlich kein “one-time” Task, sondern eine fortlaufende Aufgabe. Als Führungskraft habe ich persönlich die Erfahrung gemacht, dass es hilft, sich auch selbst verletzlich und authentisch zu zeigen, auch mal offen zuzugeben “Hey Mist, das ist mir durch die Lappen gegangen” oder “Die Strategie für diesen A/B-Test ist nicht aufgegangen, obwohl ich mir so sicher war.”

Grundsätzlich (das denke ich ist uns aber allen klar) reicht es nicht zu sagen “Wir haben eine tolle Fehlerkultur”, sondern wirklich zu erfahren, was das bedeutet. Mitarbeiter:innen müssen eine positive Erfahrung damit machen, wenn ein Fehler passiert oder andere einen Fehler machen. Dabei soll natürlich kein Freifahrtschein für unachtsames Arbeiten entstehen, aber wenn ich sehe, dass meine Führungskraft mir hilft zu verstehen, warum der Fehler passiert ist, empathisch ist und eventuelle Konsequenzen mit mir korrigiert, dann haben wir eine gemeinsame Lernerfahrung und manchmal entsteht daraus sogar eine Prozessverbesserung, von der alle profitieren.

 

7. Abschließend: Wie definierst du für dich persönlich „Erfolg“ und „Erfüllung“?

Für mich war Erfolg lange gleichbedeutend mit einem bestimmten Titel, Abschlüssen und vor allem auch wie andere auf den eigenen Lebenslauf blicken. Das ist sicher auch ein Grund, warum ich letztlich eine Grenze erreicht habe. Heute versuche ich meinen Erfolg und Erfüllung eher darin zu finden, dass ich morgens gerne aufstehe, weil ich grundsätzliche Zufriedenheit mit meinem Alltag erreicht habe, in dem Selbstbestimmung auch eine sehr große Rolle spielt. Dazu kommt Erfolg in einer Aufgabe als Führungskraft, wenn das Team eine positive Zusammenarbeit mit mir erfährt, sich bestärkt und gefördert fühlt. Wenn also jemand in ein paar Jahren sagt: “Mit der Ann-Kathrin habe ich gern zusammengearbeitet, sie hat mich inspiriert / weiterentwickelt / gefördert”, dann erfüllt mich das und dann ist das Erfolg!

 

Bonusfrage: Wo siehst du aktuell im Digital Marketing oder auch darüber hinaus Entwicklungen, die Unternehmen wohlmöglich zum Scheitern bringen werden? Welchen Rat würdest du den Verantwortlichen mitgeben?

“It’s a marathon not a sprint” – Ich denke viele Unternehmen / Unternehmer stürzen sich nach wie vor gerne auf Maßnahmen, die vor allem auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtet sind. Derweil gibt es vor allem im Digital Marketing viele Maßnahmen, von denen wir erst längerfristig profitieren. Sprich: es fehlt an vielen Stellen meiner Meinung nach noch immer ein Nachhaltigkeits-Gedanke. Meiner Erfahrung nach passiert es dann auch schnell, dass Synergie-Effekte verschiedener Kanäle unterschätzt werden und dann Zeit verloren geht, um organische Kanäle aufzubauen.

 

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