Eigentlich ist der Begriff „Female Leadership“ in meinen Augen irreführend, weil Führung immer grundlegenden Prinzipien folgt, die nichts mit dem Geschlecht zu tun haben. Dennoch hatten bzw. teils auch haben es Frauen nicht immer leicht, eine Führungsrolle einzunehmen. Daher soll diese Interviewserie weibliche Führungskräfte besonders ehren und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Perspektive zum Thema Führung weiterzugeben. Darf ich also vorstellen? Andrea Buzzi, Gründerin und Geschäftsführerin von FRAUWENK. Sie wird mir im Folgenden Rede und Antwort stehen…
Andrea Buzzi
Gründerin und Geschäftsführerin von FRAUWENK
Andrea Buzzi ist examinierte Krankenschwester – und ein Fan der Digitalisierung. Sie studierte Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Marketing an der Universität Hamburg und gründete 2008 die Kommunikationsberatung FRAUWENK, die sie seit nunmehr 15 Jahren führt. FRAUWENK ist eine hochspezialisierte Kommunikationsberatung für Technologie- und Zukunftsunternehmen.
2016 hat sich Andrea den Traum eines eigenen Magazins erfüllt und Clutch – das Gesellschaftsmagazin für die digitale Welt – aus der Taufe gehoben. Als Herausgeberin von Clutch setzt sie sich für die Verbreitung und Weiterentwicklung von digitalen Technologien ein. 2018 verbrachte Sie drei Monate als digitale Nomadin in einem Co-Working-Space auf Bali, um „New Work“ selbst zu leben und setzt ihre Erfahrungen daraus jetzt auch im heimischen Office-Alltag um.
Ihrer Passion für digitale Gesundheit folgend gründete sie 2019 The Medical Network, eine Kommunikationsberatung speziell für E-Health-Unternehmen. Andrea ist seitdem Host des E-Health Pioneers Podcast, dem Business-Podcast für den digitalen Gesundheitsmarkt. Sie spricht mit Gründern, Innovatoren und anderen Akteuren im E-Health-Bereich über neueste Entwicklungen, Herausforderungen und Chancen. Im September 2021 wurde sie mit dem Vision.A-Award in Silber für den besten Podcast Healthcare ausgezeichnet.
1. Welches Buch, Blog oder Podcast hat dich als Führungskraft positiv geprägt und würdest du weiterempfehlen?
Mir hat das Buch Der Weg zum erfolgreichen Unternehmer von Stefan Merath an einem entscheidenden Punkt meiner Selbstständigkeit geholfen. Ich war ausgebrannt und völlig überlastet mit Arbeit. Das Buch und das Seminar haben mir gezeigt, dass es ganz vielen Unternehmer:innen so geht, wenn sie sich selbständig machen. Das war beruhigend. Ich habe das Buch auf Bali von einem Mann empfohlen bekommen, der in meinem Co-Working arbeitete. Das war mein Wendepunkt. Wenn mich heute jemand fragt, was ich bin, sage ich Unternehmerin und nicht mehr Beraterin. Ich arbeite nun am Unternehmen und nicht mehr im Unternehmen. Beides gleichzeitig geht nicht. Von dem Moment an waren wir auf Wachstumskurs. Weitere gute Bücher für Leader, die ich immer wieder zur Hand nehme, sind Think Limbic, Die 4-Stunden-Woche und The Trusted Advisor. Mein Podcast-Must-Hear ist der Doppelgänger-Podcast, weil ich die Tech-Szene einfach megaspannend finde und so immer up to date bin.
2. Wie würdest du deinen Führungsstil beschreiben und welche Erwartungen impliziert dies auf deine Mitarbeiter:innen?
Ich führe meine Teams über Ziele. Quasi eine customized Form der OKRs. Wenn man über Ziele führt, ist es wichtig, dass die Marke und Mission des Unternehmens allen klar sind. Zwei Mal im Jahr stelle ich den Mitarbeiter:innen außerdem unsere Zahlen, den Satus-Quo und strategischen Handlungsfelder vor. Anhand dieser Felder kann dann jeder Mitarbeiter in seinem Wirkungskreis messbar beitragen. Das ist wohltuend für alle, weil jeder etwas bewirkt und die eigene Arbeit Ergebnisse produziert. Eine Führung über Ziele bedeutet aber auch, dass jeder Verantwortung trägt und mit so viel Freiheit umgehen können muss. Wer vorher über Aufgaben geführt wurde, der braucht meistens noch Anleitung bei den Prios. Wenn es richtig brummt bei uns, legen wir aber auch mal Team-Sprints ein, die dann aufgabenbezogen sind. Dann stehen alle bei uns an der großen Glaswand und wir arbeiten uns gemeinsam durch unser Kanban Board.
3. Als Frau zu führen ist nicht immer leicht. Man hört immer wieder auch von Geschichten, wo sich Männer gegenüber Frauen absolut daneben benehmen. Kannst du uns etwas in deine persönliche Geschichte mit reinnehmen und beschreiben, wie du (trotzdessen) zu einer Führungskraft geworden bist? Welche Barrieren musstest du überwinden bzw. wer oder was hat dir dabei geholfen?
Ich bin seit über 20 Jahren eine Frau unter Techies – meist habe ich es immer noch mit männlichen Gründern und CEOs zu tun. Dabei habe ich die Tech-Branche immer als total ‚durchlässig‘ empfunden. Wer gut war, kann es nach oben schaffen. Bewegungen wie Digital Woman in Tech haben dazu beigetragen, dass Frauen sogar als Experten und Spokespersons bewusst ins Rampenlicht ‚gezogen‘ werden. Egal ob männlich, weiblich oder divers. Ich erlebe Deutschland in dieser Hinsicht sogar als sehr fortschrittlich. Gerade hat mir eine Bewerberin aus Sydney erzählt, dass es dort ganz anders aussieht. Wenn sich heute bei mir Männer bewerben, gehe ich mit dem Thema offen um und frage auch mal nach, ob sie sich vorstellen können, von einer Frau geführt zu werden. Dann liegt das Thema einmal konkret auf dem Tisch.
Ich finde, dass Frauen die Gewinnerinnen der Digitalisierung sind. Ich muss aber auch deutlich sagen, dass ich in meiner Karriere nie von Männern unterdrückt oder übergangen wurde. Höchstens vielleicht noch von meinem Vater, aber der hatte einfach eine andere Vorstellung von meinem Leben und kam aus einer anderen Generation. Heute erkennt er meinen Weg an und ist stolz auf mich. Ich habe aber auch nie in Konzern-Strukturen gearbeitet. Ich war innerlich auch immer schon mein eigener Herr – nur mir selbst und meinen Aufgaben verpflichtet.
4. Seit ein paar Jahren wird verstärkt über das Thema „Frauenquote“ in Führungspositionen diskutiert. Wie stehst du zu diesem Thema? Hilft unserer Gesellschaft die Einführung einer Einstellungsquote oder siehst du die Gefahr, dass sich weibliche Führungskräfte damit eher wie „Quotenfrauen“ fühlen?
Aufgrund der Langsamkeit der Entwicklung bin ich für eine gesetzliche Quote und inzwischen auch selbst viel sensibler, wenn es um Frauen-Diskriminierung geht. Ich versuche meinen kleinen Beitrag zu leisten, indem ich meine weiblichen Nachwuchskräfte selbstbewusst mache und sie bestärke, ihre Rechte durchzusetzen. Ein schlauer Mensch hat vor kurzem in einem Interview gesagt, dass Männer in diesem Jahrhundert schon deshalb verloren haben, weil nun die Frauen an der Reihe sind. Für hochrangige Posten und Förderprogramme werden Frauen sogar oftmals bevorzugt, um die Quoten zu erreichen. Dass ist nicht ungerecht, sondern längst überfällig. Männer dagegen machen immer deutlicher ihre Vater- und Familienrechte geltend, siehe beispielsweise den stern aus Dezember 22, der das Thema „Mehr Vater sein“ auf den Titel gehoben hat. Es ist also für alle gesorgt 😊
5. Was möchtest du weiblichen Young Potentials gern als Rat mitgeben, die sich für eine Führungsposition interessieren?
Kontakte aufbauen, sich vernetzen und kooperieren. Wichtig dabei ist, sich als Expertin einen Namen zu machen und alle Medien und Kanäle zu nutzen. Frauen sind immer noch zu sehr damit beschäftigt zu arbeiten und reden zu wenig darüber. Schon als Young Potentials sollten sich Frauen als Expertinnen mit ihren Themen positionieren und jede Gelegenheit wahrnehmen, sich zu präsentieren. Speakings auf wichtigen Branchen-Events sind sicher hilfreich. Gute PR, in diesem Fall Eigen-PR, ist der Anfang des Erfolgs. Ich persönlich habe sehr davon profitiert, mir ein funktionierendes Netzwerk aufzubauen, in das man Zeit und Arbeit investiert. Heute kann ich diese Früchte ernten. Im Angestellten-Verhältnis ist es wichtig, immer wieder seine Rechte einzufordern und auch bei Gehaltsverhandlungen mutig zu sein. Ein Karriereplan kann da helfen.
6. Was können hingegen männliche Führungskräfte oder auch gleichgestellte Kollegen tun, um Frauen dabei zu helfen, ihr Potenzial zu entfalten und zu kompetenten Führungskräften zu werden?
Ehrlich gesagt denke ich nicht in Gender-Mustern, daher befremdet mich die Frage etwas. Lasst uns doch das Tun sowie die Erfolge und Kompetenzen anschauen – und den Menschen, der dahintersteht.
7. Seit ein paar Jahren wird versucht, über gendergerechte Sprache für mehr Gleichberechtigung zu sorgen. Gleichzeitig gibt es hierzu aber auch kritische Stimmen und möglicherweise auch einen Bogen, den man überspannen kann. Wie ist deine Position zu dem Thema und inwiefern fühlst du dich durch eine gendergerechte Kommunikation mehr angesprochen?
Für uns als Kommunikationsberater:innen ist klar: Sprache ist ein starkes Instrument. Worte und Stil wirken und müssen zum Unternehmen passen. Daher muss sich jede:r Unternehmer:in und jede Marke diese Frage stellen: gendern, ja oder nein? Diese Festlegung gehört dann zum Tone of Voice des Unternehmens. Aktuell sehen wir in Sachen gendern gerade eine kleine Übersprungsreaktion, aber das macht nichts. Durch die Debatte machen sich die Menschen bewusst, dass das Thema wichtig ist. Irgendwann wird sich da keiner mehr drüber aufregen und wir sind einen Schritt weiter in Sachen Gleichberechtigung.
Bonusfrage: Hast du noch weitere Gedanken zum Thema „Female Leadership“ oder „Leadership in Zukunft“, die du mit mir teilen magst?
Viele Frauen sind immer noch zu zurückhaltend, gerade beim Gründen von Unternehmen, denn ihr Risikobewusstsein ist oftmals höher ausgeprägt als bei männlichen Gründern. Hier sollten wir ansetzen und den Frauen Vorbilder geben und ihnen Mut machen, auch Risiken einzugehen. Gerade in technologischen Bereichen bieten sich derzeit viele Chancen. Vor allem die digitalen Netzwerke und Plattformen erlauben es Frauen weltweit, sich zu vernetzen und ihre Expertise zu zeigen. Da muss man noch nicht einmal auf einer Bühne stehen. Die digitale Personality Brand reicht aus, um sich „Gehör“ zu verschaffen. Aber natürlich ist Frauen auch das echte Treffen und der Austausch wichtig. Ich wünsche mir vor allem noch mehr Angebote für C-Level-Frauen, die eine persönliche Weiterbildung mit einer guten Kinderbetreuung kombiniert. Da gibt es Lücken.