In dieser Interviewserie stelle ich 7 Fragen an Führungskräfte-Coaches. Hierdurch bekommst du Einblicke über das Thema Leadership von Personen, die vielfältige Führungspersönlichkeiten und ihre Unternehmen begleiten können. Es lohnt sich also definitiv! Darf ich also vorstellen? Franziska Anders. Sie wird mir im Folgenden Rede und Antwort stehen…
Franziska Anders
Franziska Anders ist personenzentrierte Beraterin sowie systemische Coachin & Organisationsberaterin. Die studierte Geisteswissenschaftlerin begleitet seit mehr als 10 Jahren Führungsverantwortliche in Organisationen, die oftmals geprägt sind von Wachstum, Beschleunigung und Innovationsverdichtung. Ihre Arbeit orientiert sich aktuell stark an der Frage: „Welche Art des Miteinanders braucht es zwischen Mensch & Maschine?“ in heutigen bzw. zukünftigen Arbeitskontexten. Als Coach & Beraterin ist sie dabei auf die Kompetenzentwicklung von Führungspersönlichkeiten spezialisiert, die sowohl digitale als auch alltägliche Herausforderungen der Moderne schultern und meistern können. Sie ist außerdem mehrfach zertifizierte Expertin für Persönlichkeits- und Potenzialanalysen und spricht mehrere Sprachen fließend. Es heißt, in ihren Adern fließt ein wenig lateinamerikanisches Blut – vielleicht erklärt das ihr Feuer und ihre Art, den Dingen unvoreingenommen, mit Leichtigkeit und ohne Berührungsängste zu begegnen.
Ihre Mission mit „Human“ ist es, Menschen zu befähigen, diejenigen Haltungen und Kompetenzen zu entwickeln, die Menschen mit Führungsverantwortung benötigen, um Veränderungen “anders” als bisher zu meistern – wohlwollend(er), konfliktfähig(er), wertschätzend(er), anpassungsfähig(er) & innovativ(er). „Human“ macht Organisationen zukunftsfähig und befähigt Menschen zu einer neuen Art des Miteinanders in einer unsicheren, turbulenten Welt.
1. Welches Buch, Blog oder welchen Podcast sind aus deiner Perspektive hilfreich für Führungskräfte und würdest du weiterempfehlen?
Ganz aktuell empfehle ich den Podcast von Simon Sinek & Adam Grant “A bit of everything” – in 50 Minuten bekommt man hier wertvolle Impulse und Anregungen, wenn es um die Haltung als Mensch mit Führungsverantwortung geht.
Mein brandaktueller Buch Tipp: I,Human – AI, Automation and the Quest to Reclaim What Makes Us Unique von Tomas Chamarro-Premuzic. Das Buch gibt einen Einblick in die Auswirkungen von KI auf das menschliche Verhalten. Es handelt sich nicht unbedingt als dezidierte Führungsliteratur, ist jedoch für das eigene Führungsverständnis bzw. die Haltung in unserer immer mehr digitalisierten Welt ein Hingucker wert.
2. Was ist für dich der Unterschied zwischen einem/einer Coach:in und einem Mentor:in? Und ab wann sollte jede Führungskraft sich den/die eine:n oder andere:n suchen?
Meine Definition von Coaching: Ich begleite auf dem Weg des Findens der eigenen Antworten/Lösungen. Ich gebe Impulse für Veränderung.
Mentor:innen hingegen geben Hinweise oder sogar auch Antworten & Lösungen zu bestimmten Fragestellungen (Prozessen oder auch Verhaltens- oder Arbeitsweisen) innerhalb eines Unternehmens oder darüber hinaus. Als Beispiel: Welche Art und Weise des Führungsverhaltens muss ich in Unternehmen X an den Tag legen, um erfolgreich zu sein? Was wird belohnt? Ich würde es mit einer Art “Legacy Ownership” vergleichen – was hat in der Vergangenheit funktioniert, was auch nicht.
Ab wann? Idealerweise schon vor der „Beförderung zur Führungskraft“ auf dem Weg hin in eine neue Position bzw. Rolle. Es kann eigentlich nie zu früh sein, sich mit der eigenen Persönlichkeit und den eigenen Kompetenzen auseinanderzusetzen. Die Grundlage für jegliche Veränderung sind aus meiner Sicht u.a. die Kompetenzen zur Selbstwahrnehmung, Selbstentwicklung, zum Selbstmanagement als auch für Sinn & Selbstantrieb.
In einer idealen Welt haben wir wahrscheinlich sogar beides: Eine:n Coach:in für die persönliche Entwicklung und eine:n Mentor:in für die fachliche/organisatorische Entwicklung.
3. Als was siehst du dich und wie stellst du sicher, dass du für deine Klient:innen einen Mehrwert lieferst? Muss deiner Meinung nach ein:e Coach:in oder ein:e Mentor:in selbst Profi als Führungskraft sein, um Führungskräfte begleiten zu können?
Ich sehe mich als Wegbegleiterin. Mehrwert entsteht aus meiner Perspektive immer dann, wenn der oder die Klient:in eine Antwort auf seine/ bzw. ihre Frage findet und ein “AHA-Moment” entsteht. Da meine Begleitung durch Fragenstellen geprägt ist, liegt es fast in der Natur der Sache, dass die Person etwas Neues (über sich) lernt.
Die Erfahrung als Führungskraft kann in einigen Fällen hilfreich sein, in anderen jedoch auch hinderlich (bei zu viel Identifikation kann es auch blind machen im Entwicklungsprozess). Manchmal ist es einfacher eine andere Perspektive zu öffnen, wenn der oder die Coach:in keine Erfahrung hat. Für mich ist es keine Voraussetzung, am Ende liegt die Entscheidung jedoch beim Klienten. Je nachdem, woran der oder die Klient:in arbeiten möchte und ob es der Person wichtig ist. Klient:innen wissen am besten, was sie brauchen.
4. Was macht erfolgreiche Führung für dich aus? Und was würdest du Menschen raten, die das Ziel haben, sich in eine Führungsposition zu entwickeln?
Puh, keine einfache Frage. Ich versuche es mal so: Ich spreche von erfolgreicher Führung, wenn die Führungskraft es schafft, den Führungsalltag so zu gestalten, dass eine Balance zwischen Zielerreichung und Menschenorientierung spür-und erlebbar ist.
Was heißt das? Führungskräfte müssen immer Ziele erreichen und werden daran gemessen, das ist klar. Sie sollten es meiner Meinung aber auch schaffen, Menschen hinter einer Sache zu vereinen, um gemeinsam etwas (Neues) zu schaffen! Und das auf eine wertschätzende und empathische Weise.
Woran erkenne ich das: Wenn Teams klare Ziele & Orientierung haben, dabei kontinuierlich nach Verbesserung gestrebt wird, eigenverantwortlich gearbeitet werden kann und sich jede:r Einzelne gehört, gesehen und zugehörig fühlt. Kurzum, wenn die Führungskraft in der Lage ist, alle Potenziale einer oder eines jeden Einzelnen und damit des gesamten Teams zu entfalten.
Mein Tipp: Ich würde jeder Person raten sich all die Facetten, die mit einer Führungsrolle in Verbindung stehen anzuschauen und zu evaluieren, ob es mit den eigenen (Arbeits-)Präferenzen, Motivatoren bzw. dem eigenen Kompetenzprofil zusammenpasst. D.h. neben dem Verständnis der Aufgaben und den damit verbundenen Verantwortlichkeiten (sowie der Rollenzuschreibung wie Geld, Macht etc.) verstehen, wann genau eine Person als Führungskraft in einem Unternehmen als erfolgreich gesehen wird, was es bedeutet, woran die Person arbeiten müsste, um die Rolle zu erfüllen und sich dann bewusst dafür oder dagegen zu entscheiden.
5. Mit welchen Tools (Frameworks, Tests usw.) arbeitest du gern und warum sind diese für die Arbeit von/mit Führungskräften ein Gewinn?
Je nachdem, wo der oder die Führungsverantwortliche steht (gerade erst frisch in die Rolle befördert oder schon etwas weiter fortgeschritten) arbeite ich am liebsten mit unserem eigenen Framework – dem “Human Check” – ein kompakter, unkomplizierter Fragebogen, der recht schnell Einblicke gibt, welche Führungskompetenzen besonders stark und weniger stark ausgeprägt sind (für Einsteiger mit Schwerpunkt auf der eigenen Einschätzung und für Fortgeschrittene inkl. der Perspektive der Mitarbeitenden). Mit Hilfe unseres Tools können wir schnell identifizieren, woran der- oder diejenige arbeiten kann.
In unserer Arbeit mit Führungskräften haben wir beobachtet, dass bestimmte Karrierewege und damit einhergehende berufliche Rollen mit der Zeit dazu führen, dass gewisse zwischenmenschliche Kompetenzen besonders stark und andere weniger stark ausgeprägt werden.
Wir haben sechs zentrale Kompetenzfelder identifiziert, die in der Arbeitswelt der Zukunft den Unterschied machen und auf dieser Grundlage das Future Leadership Skills Modell entwickelt. Der Schlüssel für die Weiterentwicklung der eigenen Führungsarbeit liegt in der Identifizierung der individuellen Entwicklungsfelder. Hier anzusetzen birgt das größte Veränderungspotential für die Führung von Teams und ganzen Organisationen.
6. Man sagt: „Führung fängt mit Selbstführung an.“ Was bedeutet Selbstführung für dich und was gilt es hier für Führungskräfte zu tun. Inwiefern kannst du bestätigen, dass mangelnde Selbstführung direkte, negative Konsequenzen auf die Führung von anderen Menschen hat?
Selbstführung ist für mich ein kontinuierlicher Prozess bzw. eine Fähigkeit, die ständiges Lernen, Reflektieren und Verfeinern im Laufe der Zeit erfordert. Als eine der wichtigsten rationalen Kompetenzen, ist sie jedoch nur eine. Ich glaube, dass es (wie fast immer) die Mischung macht und vor allem eine Balance zu Selbstwahrnehmung (Beziehung zu mir selbst, meinen eigenen Bedürfnissen und Emotionen) als emotionale Kompetenz, sowie Selbstentwicklung und Sinn & Selbstantrieb angestrebt werden sollte.
Selbstführung beinhaltet u.a. Ziel- & Prioritätensetzungen, Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit als auch Fokus und Zeitmanagement. Nur wer Klarheit über die einzelnen Aspekte hat, die nötige Disziplin an den Tag legt und Verantwortung fürs eigene Handeln übernimmt, verliert seine Ziele nicht aus den Augen.
Da liegt es auf der Hand: Wenn ich als Führungsverantwortliche:r Vorbild sein möchte, der/die inspiriert und Menschen folgen wollen, kann mangelnde Selbstführung nur Gegenteilig wirken, wenn ich mich nicht selbst führe, sondern mich womöglich von Anderen zu sehr beeinflussen lasse.
7. Wenn man sich Statistiken anschaut, dann ist der/die Chef:in eines/einer der am häufigsten genannten Kündigungsgründe. Das klingt danach, dass viele Führungskräfte ihren Führungsjob nicht gut machen und ihrer ihrer Rolle bzw. den Erwartungen ihrer Mitarbeiter:innen nicht entsprechen. Ist dem denn wirklich immer so? Was muss sich hier ggf. ändern?
Zu einseitig, um wahr zu sein.
Meine Erfahrung mit tausenden von Führungsverantwortlichen ist, dass (leider immer noch) ein:e Schuldige:r gesucht wird, anstelle zu schauen, ob das Problem vielleicht auch an anderen Stellen im Unternehmen auftaucht. Vor diesem Hintergrund könnte man die Aussage bejahen. Denn gibt es eine:n Schuldige:n, kann man das Problem direkt lösen. So einfach ist es jedoch nicht.
Fragt man die Führungskräfte sind es oftmals die Mitarbeiter:innen oder Kolleg:innen, fragt man die Mitarbeitenden sind es die Chef:innen. Jedoch sind Organisationen mehr als nur die eine oder andere Sicht. Führungskräfte finden sich oftmals in Kulturen wieder, die absolut nicht dem entsprechen, was ihrem Grundwertesystem entspricht und werden womöglich als nicht authentisch oder inspirierend wahrgenommen. Andere wiederum schaffen es vor lauter (Zeit-)Druck, nicht auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen einzugehen. Die Liste an Gründen könnte ich beliebig fortsetzen.
Mitarbeiter:innen hingegen können manchmal gar nicht ihre Bedürfnisse kommunizieren, weil sie es noch gar nicht kennen oder weil es ihnen an Mut und Sicherheit fehlt, offen und ehrlich auf ihre Vorgesetzten zuzugehen. So oder so, erlebe ich häufig, dass ein klärendes, offenes & ehrliches Gespräch zu gegenseitigen Erwartungen nie stattgefunden hat. Ich glaube, das könnte einige Kündigungen reduzieren.
Was muss sich ändern: Je nach Führungskontext (Hierarchie, Selbstorganisation etc.) sollte Führung nicht einfach so aus dem Bauch heraus passieren, sondern bewusst betrieben werden. Führungskräfte & Mitarbeiter:innen sollten sich regelmäßig evaluieren und Feedback geben, um einander zu helfen, Fähigkeiten zu verbessern und besser auf die Bedürfnisse aller einzugehen. Führungsverantwortliche sollten auch in der Lage sein, ein Umfeld zu schaffen, indem ihre Mitarbeiter:innen und Kolleg:innen den Mut haben offen zu kommunizieren, um sicherzustellen, dass die Erwartungen und Bedürfnisse beider Seiten erfüllt werden. Durch eine proaktive Herangehensweise können alle dazu beitragen, dass “Führungsprobleme” minimiert werden und Mitarbeiter:innen und Kolleg:innen langfristig zufriedener sind.
Bonusfrage: Erst die Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine und damit einhergehend instabile Lieferketten, Inflation, Rezession und gleichzeitig auch Arbeitskräftemangel und Fluktuationswellen. Keine einfache Zeit für Führungskräfte. Was ist in Zeiten wie diesen im Hinblick auf das Thema Führung ganz besonders wichtig?
Unternehmen sind in der Pflicht, Führungsverantwortliche und Mitarbeiter:innen mit neuen Fähigkeiten auszustatten. Es braucht Haltungen und Kompetenzen, die alle Beteiligten in die Lage versetzen, Veränderungen “anders” als bisher zu meistern – wohlwollend(er), konfliktfähig(er), wertschätzend(er), anpassungsfähig(er) & innovativ(er). Gerade wenn sich im Außen viel verändert, ist es wichtig, dass sie sich mit den Menschen in ihren Teams verbinden und herausfinden, was sie umtreibt. So können sich alle in wildem Fahrwasser orientieren.
Und abschließend fällt mir noch ein Zitat ein: “Die schlechte Nachricht: Die Zeit vergeht wie im Flug. Die gute Nachricht: Du bist der Pilot.” (Michael Altshuler)
Ganz gleich welche Herausforderungen auf uns warten, es gibt immer etwas, das wir beeinflussen und besser machen können.